Wie man heutzutage einen Verlag sucht


Ich habe meinen ersten Verlag noch auf die "klassische Methode" gefunden. Die ging folgendermaßen:

  1. Man vervielfältigte sein Manuskript,
  2. versah es mit einem Anschreiben,
  3. tütete es ein und
  4. schickte es an X Verlage,
  5. wartete auf Reaktionen,
  6. fischte reihenweise Absagen aus dem Briefkasten,
  7. gebrauchte schlimme Wörter,
  8. fühlte sich wie ein Versager,
  9. schmiss Sachen durch die Gegend,
  10. trank zu viel ... und
  11. versuchte es wieder, und dann nochmal, und dann nochmal.

Das war Anfang der 90erjahre, in einem anderen Jahrhundert in jedem Sinne des Wortes: Seinerzeit waren Literaturagenten noch weitgehend unüblich – man hielt das für eine amerikanische Mode, von der man nicht glaubte, dass sie in Europa Fuß fassen würde –, viele Verlage besaßen noch keine Computer (!), geschweige denn eine Emailadresse oder gar eine Website, und wenn man ihnen ein Manuskript schickte, erhielt man irgendwann (wenn auch manchmal erst nach einem Dreivierteljahr) eine Reaktion, meist in Form eines Absagebriefs – und meistens auch das Manuskript zurück, selbst wenn man keinen frankierten Rückumschlag beigelegt hatte.

Nun beschlich mich unlängst der Verdacht, dass sich seither ziemlich viel verändert zu haben scheint. Ich begann, mich zu fragen, ob meine Erfahrungen von anno dunnemals womöglich überholt sind und ich mit meinen bisherigen Tipps zur Verlagssuche heute nur noch nutzlosen Stuss erzähle.

Heute sind Literaturagenten in Deutschland gang und gäbe. Heute hat jeder Verlag eine Website, und auf den meisten davon wird an irgendeiner Stelle auch genau erklärt, was man, so man ein Buch anzubieten habe, einschicken möge. Fast immer steht allerdings auch dabei, dass man sich nur melden werde, falls man Interesse habe. Was für mich ein bisschen so klingt wie:
Schicken Sie es ruhig, wir werfen es dann gleich in den Papierkorb.

Mit anderen Worten: Heutzutage kriegt man womöglich nicht mal mehr eine Absage.


Funktioniert die klassische Methode noch?

Vor einiger Zeit habe ich deshalb gezielt unter jüngeren Kollegen und Kolleginnen nach deren Erfahrungen mit der Verlagssuche herumgefragt. Und zwar wollte ich wissen, wer von denen, die in jüngster Zeit (sprich: nicht vor, sagen wir, 2005) ihr erstes Buch veröffentlicht hatten, seinen Verlag auf eigene Faust (sprich: ohne Agentur) gefunden hatte.

Parallel dazu sprach ich auch, wenn es sich ergab, mit Lektoren und Verlegern, um alles von der anderen Seite her gegenzuprüfen.

Was ich in diesem Zusammenhang explizit nicht meinte, waren Wege wie:

  • Im Bierzelt zufällig einen Lektor kennengelernt, der nach der dritten Maß sagt, "klasche, schick doch ma' wasch".
  • Eine alte Freundin wiedergetroffen, die zufällig in einem Verlag arbeitet.
  • Der Unternehmensberater der Verlegerin ist in derselben Burschenschaft wie der Bruder des besten Freundes.

Und so weiter. Solche Dinge passieren, klar, aber das ist demjenigen, der heutzutage einen Verlag für seinen ersten Roman sucht, ja keine Hilfe.

Was ich wissen wollte, war: Funktioniert die "klassische Methode" noch? Kann man auch heute noch auf eigene Faust einen Verlag finden?

Meine private Umfrage kann natürlich nicht für sich in Anspruch nehmen, hieb- und stichfest und repräsentativ zu sein. Aber ich denke doch, dass sie mir in Verbindung mit meinen eigenen Erfahrungen in der Verlagswelt einige Aussagen erlaubt, die zumindest nicht ganz falsch sein dürften.


Mein Resümee

Mein Resümee sieht so aus:

Realistisch betrachtet, gibt es für Nachwuchsautoren heutzutage zwei ziemlich deutlich voneinander getrennte Wege:

  • Entweder man findet eine Agentur und darüber dann zu einem mittleren bis großen Publikumsverlag,
  • oder man findet auf eigene Faust zu einem Kleinverlag.

Große Publikumsverlage (das sind die, deren Romane regelmäßig die Bestsellerlisten stürmen und in Stapeln in den Buchhandlungen liegen) versorgen sich fast ausschließlich durch Literaturagenturen. Die Hinweise auf den Webseiten dieser Verlage, wie "unverlangt eingesandte Manuskripte" aussehen sollten, demonstrieren eher fromme Wünsche als gelebte Praxis. Die Praxis sieht so aus, dass die Lektorate dieser Häuser derart mit Manuskripten überschwemmt werden, dass es völlig aussichtslos wäre, sie alle ernsthaft zu prüfen. (Ein Lektor sagte mir, er bekomme um die tausend Manuskript pro Jahr auf den Tisch, habe aber in 16 Jahren nur 1 (in Worten: eines) davon tatsächlich veröffentlicht. Nur um mal eine Zahl zu nennen.)

Kleinverlage hingegen leiden an dem entgegengesetzten Problem: Sie erhalten oft nicht genug Manuskripte, um ihre Programme daraus zu bestreiten. (Natürlich erhalten auch Kleinverlage viele Manuskripte. Nur eben nicht genug Manuskripte, die auch zur Veröffentlichung taugen und ins Verlagsprogramm passen.) Und Literaturagenturen geben sich ungern mit Kleinverlagen ab: Da eine Agentur von 15-20% der Tantiemen leben muss, rentiert sich der Aufwand nicht.

Mischformen sind die raren Ausnahmen, die die Regel bestätigen. So scheint es unter den traditionsreichen größeren Verlagen ein paar zu geben, die unverlangt eingesandte Manuskripte tatsächlich noch prüfen.

Etwas besser sieht es bei Kinder- und Jugendbuchverlagen aus; hier scheint die "klassische Methode" noch regelmäßig zu funktionieren. Im Schnitt stamme etwa ein Buch pro Jahr aus dem Stapel der "Unverlangten", erklärte mir eine Lektorin, und dass es nicht mehr seien, läge daran, dass eben nicht so viele geeignete Manuskripte kämen.

Als Nachwuchsautoren kann man sich die direkte Kontaktaufnahme mit Großverlagen daher sparen oder sollte zumindest keine sonderlichen Hoffnungen damit verbinden. Wer heutzutage eine richtiggehende Karriere als Schriftsteller anstrebt, kommt nicht mehr darum herum, sich durch eine literarische Agentur vertreten zu lassen. (Wobei eine seriöse Agentur für sich zu interessieren genauso schwierig ist wie es früher war, einen Verlag zu finden. Insofern hat sich nichts verändert – nur verlagert.)

Bei einem Kleinverlag anzufangen kann jedoch eine durchaus funktionierende Alternative sein. In den letzten Jahren haben es immer wieder Bücher aus Verlagen, von denen man bis dahin noch nie etwas gehört hatte, auf die Bestsellerlisten geschafft ("Tannöd" war ein solches Beispiel). Das dürfte mit der Mundpropaganda zusammenhängen (ein "musst Du unbedingt lesen, ist der Hammer!" aus Freundesmund wirkt besser als massivste Kino-, Fernseh- und Zeitungswerbung), die heutzutage durch das Internet massiv verstärkt wirksam wird und eben auch imstande ist, Bücher bekannt zu machen, für die keine sonderliche Werbung gemacht wird. Der weitere Weg muss dabei gar nicht mal unbedingt so aussehen, dass man ein, zwei Bücher bei dem Kleinverlag herausbringt, bekannt wird und sich dann von einem der großen Häuser für viel Geld abwerben lässt: Viele ziehen es vor, der Top-Autor eines kleinen Hauses zu sein, anstatt einer unter vielen bei einem Großverlag, wo man neben amerikanischen Blockbuster-Produzenten wieder nur ein kleiner Fisch ist. (Und ehe mir nun tausend Leute schreiben, ich sei ja auch vom kleinen Schneekluth-Verlag zum großen Lübbe-Verlag gewechselt: Stimmt – aber der Auslöser dafür war, dass Schneekluth keine weiteren Bücher mehr von mir wollte. Als ich mein Konzept für "Eine Billion Dollar" anbot – insgesamt drei verschiedenen Ansprechpartnern – hieß es jedes Mal, "wen soll denn das interessieren?" In so einem Fall darf man, wenn man von seiner Idee überzeugt ist, schon mal gucken gehen, ob das andere vielleicht anders sehen.)


Weitere Alternativen

Der Verlag Droemer Knaur hat vor einiger Zeit ein Experiment gestartet, bei dem versucht wird, die "sozialen Netzwerke" per Internet zur "Trüffelsuche" nach guten Manuskripten nutzbar zu machen. Funktionieren sollte das so: Auf der Website
neobooks.com konnte man sein Manuskript einstellen, das von anderen Besuchern bewertet werden sollte, und die zehn am besten bewerteten Manuskripte eines Monats nahm ein Lektor des Verlags dann näher in Augenschein. Ich war damals skeptisch, zumal mir ein anderer Verleger dazu kopfschüttelnd sagte: "Wenn ich ein Manuskript ankaufe, dann will ich doch nicht, dass das die halbe Welt schon gelesen hat!" Heute gibt es neobooks immer noch, es sieht sich in erster Linie als Selfpublishing-Plattform und arbeitet in der Tat mit einigen Verlagen zusammen, die unter den dort veröffentlichten Romanen nach neuen Talenten suchen; es gibt auch einige "Erfolgsstories", die auf der Website nachzulesen sind.

Rundherum empfehlenswert ist die Teilnahme an Romanwettbewerben, wenn diese von renommierten Verlagen ausgeschrieben werden und das eigene Werk dazu passt. Der Hohlbein-Preis des Überreuter-Verlags etwa war schon für einige Autoren der Einstieg (auch Wolfgang Hohlbein selbst hat seine Karriere mit dem ersten Platz in einem Romanwettbewerb gestartet); der Fantasy-Wettbewerb des Heyne-Verlages hat ebenfalls viele Autoren in hervorragende Startpositionen befördert.

Generell sind Literaturwettbewerbe nach wie vor eine Chance, die Aufmerksamkeit von Verlagen auf sich zu lenken. Freilich muss man dafür in der Regel Kurzgeschichten schreiben, was einem nicht unbedingt liegt, nur weil man gern Romane schreibt (und umgekehrt). Aber wenn man sich als bislang unbekannter Autor in einem einigermaßen seriösen Wettbewerb gut platziert, kann durchaus ein Anruf aus einem Verlagshaus kommen, ob man nicht vielleicht einen unveröffentlichten Roman in der Schublade habe.

Eine umfassende, immer wieder aktualisierte Auflistung von Literaturwettbewerben findet man unter
https://www.autorenwelt.de/verzeichnis/foerderungen
(Achtung: Enthält auch Wettbewerbe, die nicht mehr oder gerade nicht laufen!)

Auch der Newsletter des Autorenforums ist eine Fundgrube für Ausschreibungen aller Art:
https://www.autorenforum.de/the-tempest

Was heutzutage interessanterweise nicht mehr zu schaden scheint, sind selbst veröffentlichte Bücher. Wenn Bücher die Kinder eines Autors sind, so sind die im Selbstverlag herausgebrachten Bücher so etwas wie dessen uneheliche Sprösslinge: Früher ein Schandfleck und unbedingt zu verheimlichen, inzwischen kein Thema mehr. Immer öfter stoße ich in Buchprospekten auf den Hinweis, dass dieses oder jenes Buch zuerst im Eigenverlag erschienen sei – bisher meist noch in den USA oder in Großbritannien, aber auch in Deutschland schon salonfähig (bekanntestes Beispiel hier dürfte
Nele Neuhaus sein).

Man verstehe das aber nun bitte nicht als Empfehlung, den Einflüsterungen sündhaft teurer Druckkostenzuschuss"verlage" zu verfallen: Wenn man heutzutage ein Buch selber herausbringen will, kann man das dank "Book on demand" sehr preisgünstig tun; mancherorts kostet es, so man zu den nötigen Vorbereitungsarbeiten imstande ist, gar nichts. Eines Tages mag das eBook auf diesem Gebiet noch einmal ganz neue Möglichkeiten eröffnen; in den USA tut es das bereits, wie der Fall
Amanda Hocking zeigt, die mit selbstveröffentlichten Romanen zur Millionärin geworden ist.

Auf der anderen Seite scheint es heutzutage eine schwerwiegendere Hypothek zu sein als früher, wenn man ein erstes Buch veröffentlicht und es
nicht gut läuft. Mein erster Verlag (Schneekluth, wie schon erwähnt) hat noch vier Flops akzeptiert; heutzutage beendet ein Verlag die Zusammenarbeit mit einem Jungautor oft schon nach zwei Büchern, die sich nicht gut verkauft haben. Zudem haben die Verlagen heute die Möglichkeit, die Absatzzahlen eines Autors abzurufen, wenn dieser schon woanders etwas veröffentlicht hat: Wenn diese Zahlen schlecht aussehen, steht man als Autor, der schon Veröffentlichungen vorweisen kann, schlechter da als ein vollkommener Newcomer!


Fazit

Deswegen ist Nachwuchsautoren
heute dringender denn je vor allem zu raten, sich erst mit einem richtig guten, rundum gelungenen Manuskript auf die Suche nach einem Verlag zu machen. Nichts überstürzen! Abliegen lassen, mit zeitlichem Abstand wieder lesen, kritisch lesen und lesen lassen, überarbeiten, überarbeiten, überarbeiten! "Ist so gut wie X" reicht nicht, wenn X das Buch eines altgedienten Bestsellerautors ist, der eine feste Leserschaft hat, die ihm auch mal ein schwächeres Buch durchgehen lässt: Das Buch eines Neueinsteigers muss besser sein.

Und: Man mache sich kundig, was für
Spielregeln in der Buchbranche gelten, ehe man sein Manuskript in die Welt hinausschickt und blindlings irgendwelche Verträge unterschreibt. Auch zur Verlagssuche gibt es gute Bücher (meine Tipps finden Sie hier), an deren Kaufpreis man übrigens den Finanzminister (da betrieblich bedingte Aufwendung für Fachliteratur) beteiligen kann.


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