Wie man Charaktere entwickelt



Wer das Leben Karl Mays kennt, findet ihm nahestehende Personen in seinen Romanen wieder. Holen Sie sich für die Charaktere Ihrer Figuren Anregungen aus Ihrem Umfeld?

Das habe ich früher gemacht. In "Kelwitts Stern" habe ich zwei gute Freunde verwurstet, aber das war ein absichtlicher Gag und auch sehr unübersehbar, bis hin zu den Namen. Ansonsten brauche ich das nicht mehr, auf wirkliche Personen zurückzugreifen; inzwischen hat sich irgendein Mechanismus in meinem Gehirn gebildet, der Figuren unmittelbar entwickelt und sie mir in dem Moment, in dem ich ihren Namen weiß, plastisch vor Augen führt. 




Hatten Sie auch schon mal Schwierigkeiten mit einer Figur, sie glaubwürdig zu machen? Ist Ihnen ein Charakter mal hölzern geraten, irgendwie konstruiert- eben einfach nicht besonders menschlich?

Ständig...;-) 




Falls ja, was machen Sie in so einem Fall?

Ich versuche mich in so einem Fall noch stärker in die Figur hineinzuversetzen, sie zu werden. Manchmal hilft es, wenn ich die Figur etwas abändere, sie jemandem ähnlich werden lasse, den ich kenne. Manchmal ist es wichtig, daß man die Figur gut leiden kann - oder daß man sie haßt. Ich haßte Khalid in der SOLARSTATION. 




Meine Figuren fangen ständig an, sich selbst zu schreiben. Haben Sie eine Ahnung, wie ich das einigermaßen einschränken kann?

Nein. Wozu auch? Ich finde es immer faszinierend, wenn eine Figur sich verselbständigt - das heißt doch, daß sie "lebendig" wird! Und was will man denn mehr? 
Mein Rat hier wäre, es zu akzeptieren und laufen zu lassen. Sich überraschen zu lassen, wohin das führt. Meine besten Sachen sind so entstanden! 




Ich hatte gerade eine (neue?) Idee, wie man einer eigenen Figur mehr Dreidimensionalität verleihen kann: ein fiktives Interview mit ihr schreiben!

Die Idee, seine Romanfiguren zu interviewen, ist natürlich nicht ganz neu. Wobei es was hat, wenn man ganz von selbst auf so etwas kommt, nicht wahr? Auf jeden Fall ist das ein sehr gutes Hilfsmittel, sich mit seinen Hauptfiguren vertrauter zu machen (für alle Figuren wäre es etwas aufwendig, und man soll auch nicht alle Figuren gleich stark ausdifferenzieren, sonst läuft die Geschichte Gefahr, zu breit zu werden). 




Wie entstehen solche Namen, wie "Nillian Jegetar Cuain", "Rhuna Orlona Pernautan", oder "Lamita Terget Utmanasalen"? Oder auch "Jibarat", "Jibnat", "Gheera", "Phtar", "Tennant", "Pashkanarium", "Eloa",...?

Ich werde immer wieder danach gefragt, aber ich finde das das Einfachste von der Welt: Ich gucke schräg in die Luft, überlege ein wenig, und Peng!, da kommt mir der Name. Im Ernst. Manchmal spiele ich noch ein wenig herum, variiere das Wort, bis es mir gefällt, aber meistens paßt es auf den ersten Versuch. Ich habe da keine Technik, weil mir derartige Namen einfach so einfallen. 




Nur einmal aus reiner Neugier, wie planen Sie eine außerirdische Lebensform?

Ich mache es intuitiv. Ich träume herum, bis ich das Gefühl habe, als sei ich dieser Lebensform schon einmal begegnet, wüßte, wie sie riecht, sich anfühlt, wie es ist, ihr gegenüber zu stehen - und das versuche ich dann zu beschreiben. 




Was halten Sie für ratsamer? Die Geschichte den Charakteren anzupassen, oder die Charaktere der Geschichte?

Es ist auf jeden Fall ratsamer, die Geschichte den Figuren anzupassen. Tatsächlich ist es so - und das werden Sie wahrscheinlich bemerkt haben -, daß wenn man die Figuren ganz klar vor Augen hat, sich sich genau so deutlich vorstellen kann, wie man sich seine besten Freunde vorstellen kann, und wenn man sie genauso gut kennt... dann schreibt sich die Geschichte fast wie von selbst. Und nicht nur das, sie wird auch besser. 




Die Hauptfigur in meiner Geschichte hat die Angewohnheit, Menschen die sie näher kennenlernt mit berühmten Persönlichkeiten zu vergleichen, was sich hauptsächlich auf das optische Erscheinen bezieht. Ob mir das vom Stil her zu "plump" ist, möchte ich noch nicht entscheiden, da dies eine besondere Eigenschaft meiner Hauptfigur ist. Doch was ich gerne wüßte, darf ich die Namen der Stars überhaupt erwähnen?

Ja, das ist kein Problem. Es ist sozusagen der Beruf von "Stars", bekannt und berühmt zu sein, und in einem Roman zu sagen, jemand sehe aus wie Richard Geere oder habe ein Julia Roberts-Lächeln, ist rechtlich unproblematisch. Allenfalls erzählerisch kann es problematisch sein, da es eine Geschichte sehr zeitbezogen macht - in zwanzig Jahren wird ein Vergleich wie "er sah aus wie Eminem" wahrscheinlich niemandem mehr etwas sagen. 




Da auch Sie Probleme haben mit Ihren Figuren, möchte ich mal meine neueste Idee präsentieren. ich gehe von einer dreiteilung des Menschen aus: 
- Sinne, die Info's aufnehmen
- Verstand und gefühl, die sie verarbeiten
- Stimme, Mimik Gestik, die die ergebnisse ausdrücken.
Das alles soll auf FREUD beruhen. Beim Schreiben will ich mir jetzt angewöhnen, in Gedanken ein Prisma kippen zu lassen, auf dem diese drei Phasen stehen. Sie sind gesteuert von den Motiven der Figur, die ich für jede vorher gestalte. Es ist also , als ob man in einen alten mann schlüpft, ein junges Mädchen usw. Das erfordert nur unvorstellbar viel Vorarbeit, um sich die Figuren und ihr Umfeld vorzustellen. Dabei gehe ich auch von drei Sphären aus: der Zwischenmenschlichen, der familiären und der auf Arbeit. In jeder dieser Sphären gibt es Gleichgesinnte, Höhere und Tiefere, die Freund, Feind oder neutral sein können.

Wenn das für Sie funktioniert, fein. Ich kann, muß ich gestehen, damit nichts anfangen. Ich schreibe doch eher aus dem Bauch heraus. 




Vor einiger Zeit habe ich angefangen, in meinen Erzählungen eine alte Figur aus einem Comic aufleben zu lassen - und stelle fest, daß ich einen vollkommen neuen Charakter entworfen habe, der sich aber an das Original anlehnt. Ich würde gerne wissen, ob es möglich ist, einen "verschwundenen Charakter" wieder aufleben zu lassen. Muß ich mir bei dem Verlag den Namen erkaufen? Oder darf ich den Namen einfach weiter benutzen, vorausgesetzt ich spiele weiterhin nicht mit dem Gedanken, etwas zu veröffentlichen?

Zunächst würde ich meinen, daß die Rechtslage so ist, daß Sie, solange Sie nichts veröffentlichen, machen dürfen, was Sie wollen. Auch ein Herumreichen solcher Geschichten im Freundeskreis gilt in dem Fall noch nicht als Veröffentlichung. In dem Moment aber, in dem Sie - und sei es unentgeltlich - eine Ihrer Geschichten mit diesem Phantas irgendwo abdrucken, bräuchten Sie dazu die schriftliche (!) Erlaubnis des Rechteinhabers, der meist mit dem Verlag identisch ist. Wie auch immer Sie die bekommen. Manchmal muß man dazu etwas zahlen, manchmal nicht, das ist Verhandlungssache. 


Aber ich möchte Ihnen den Rat geben, es doch einfach einmal zu probieren und der Figur - die ja, wie Sie sagen, mit dem ursprünglichen Charakter nur noch entfernte Ähnlichkeit hat - einfach einen neuen Namen zu geben. Ist ja mit Suchen und Ersetzen in heutigen Programmen kein Problem. Und dann schauen Sie mal, was passiert. Vielleicht entwickelt sich die Figur ja NOCH einmal ein Stück weiter, wird ganz die Ihre?! Schreiben Sie mal versuchsweise mit der umbenannten Figur. Mir ist es oft so gegangen, daß ich, wenn ich einer Figur einen anderen Namen gegeben habe, mich am Anfang schwertat damit, mich daran zu gewöhnen - aber es vergeht mit der Zeit, und nach einer Weile kommt einem der alte Name seltsam und fremd vor! Das ist die Magie des Namengebens. 


Abgesehen davon es ist ja nicht einzusehen, jemandem womöglich Geld zu zahlen nur für einen - nicht mal sonderlich phantasievollen - Namen, wenn man aus der Figur inzwischen schon was ganz eigenes gemacht hat und das übrige Drumrum gar nicht mehr benutzt. 




Gibt es einen Grund, warum Sie Ihren Charakteren gern die amerikanische Nationalität verleihen?

Das ist vor allem eine schlechte Angewohnheit, die viele deutsche Autoren haben und die ich künftig abzulegen ich mir vorgenommen habe. D.h. Amerikaner als Protagonisten nur noch, wenn es die Geschichte erfordert (was sie bei "Solarstation" etwa nicht tut, wohl aber beim "Letzten seiner Art"). 


© Andreas Eschbach
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