Wie man GUT schreibt



Die Frage aller Fragen - und sie wird viel zu selten gestellt!



Wie schreibt man gut?

Wie schreibt man gut? 


Was kann man dazu eigentlich sagen? DARF man denn etwas dazu sagen? Oder stellt man sich damit schon ganz frech auf ein Podest, unterstellend, man selber könne gut schreiben und alle anderen müßten es - von einem - erst lernen? 




Ich denke die Frage "Wie schreibt man GUT?" ist für mich nicht mit konkreten Ratschlägen "gut schreibt man so und so" zu beantworten.

Genau das denke ich auch. "Wie schreibt man GUT?" - darauf gibt es keine Antwort, und es wird nie ein Rezept gefunden werden, keine Formel und kein Verfahren. 


Rezepte/Formeln - das sind nichts anderes als Genres, nicht wahr? Man nehme... eine Leiche, unklare Todesumstände, einen Ermittler. Menge etwas Konfusion bei, einen großen Schuß Spannung, und zum Schluß gebe man eine Lösung hinzu. Das nennt man "Krimi". Man nehme... eine Abweichung vom Alltag, die zu einer bedrohlichen Situation eskaliert, füge ein finsteres Komplott hinzu, fein abgeschmeckt mit einem standhaften Helden, lasse diesen im entscheidenden Augenblick ein Jota klüger/tapferer/stärker sein als den Bösewicht, und garniere dies am Schluß mit einer dramatischen Rettung in letzter Sekunde. Das nennt man "Thriller". 


Und es gibt es in jedem Genre gute, schlechte und mittelmäßige Werke. Die Frage, ob ein Text in ein Genre gehört oder nicht, führt deshalb nicht weiter. Das wäre etwa so sinnvoll wie zu sagen, ein Lied ist nicht gut, weil es ins Genre "Blues" fällt (Rezept hier: 4 Takte Tonika, 2 Takte Subdominante, 2 Takte Tonika, 1 Takt Dominante, 1 Takt Subdominante, 1 Takt Tonika, 1 Takt z.B. Dominant-Septakkord). 


Also, nochmal: die Frage "Wie schreibt MAN gut?" ist sinnlos. Aber die Frage "Wie schreibe ICH gut?" macht Sinn. 




Das Ergebnis, was 'gute Arbeit' ist, ist eindeutiger. Bei Geschriebenem läßt sich diese Grenze nicht so leicht ziehen, oder?

Genau das ist es, was man lernen muß! Ich glaube, daß man um so besser schreiben kann, je präziser man unterscheiden lernt, was von dem, was man geschrieben hat, gut und was schlecht ist. Hier liegt der Schlüssel - interessanterweise nicht in dem Teil in uns, der Text PRODUZIERT, sondern in dem, der Text BEURTEILT. Nicht wahr, alle Schriftsteller haben irgendwann diesen Kniff entdeckt, sich etwas laut vorzulesen und dann hinzuspüren, ob es irgendwo holpert, ob da ein Wort den Gesamtklang stört, ob die Satzstellung ungeschickt ist. Und auch, erkennen zu können, was man GUT gemacht hat - das ist extrem wichtig. Daß ein Satz auf den ersten Blick schräg wirkt, aber gerade dadurch stark und richtig ist, eben gut. Daß ein Dreh in der Geschichte, der einem eingefallen ist, gut ist. 


Ich mache es so, daß ich beim Durchgehen von Geschriebenem (Korrekturlesen) nicht nur das anstreiche, was mir als schlecht aufstößt, sondern auch das, was gut ist und so bleiben soll. (Das kriegt einen senkrechten Strich am Rand.) 


Dieses Lesen und Bewerten ist ein genauso anstrengender, kreativer Akt wie das Schreiben selbst. Hier muß man noch mehr dabei sein. Und man kann auch viel falsch machen - genial gelungene Sätze in platte, wohlerzogene Sätze zurückstutzen z.B. 


Ach ja, was las ich heute in der Buchhandlung, in einem Buch über irgend eine neue Managementlehre: "An Ideen herrscht kein Mangel. Woran wirklich Mangel herrscht, ist an gutem Urteilsvermögen." Jede Wette, daß hier das gleiche Prinzip verborgen liegt?

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Gibt es Grundlagen, die man beim Schreiben eines Romans/einer Kurzgeschichte/eines Artikels/ einer Satire stets beachten sollte?

Die grundlegendste Grundlage ist: am Ende soll das, was man geschrieben hat, so gut sein, wie man es nur hinbekommen konnte. Und die grundlegendste Frage ist entsprechend: wie kriegt man einen Roman/...etc. gut hin? 




In der Beurteilung, daß etwas nicht gut klingt tue ich mich relativ leicht. Das Problem ist dann "nur", eine bessere Version zu finden!

Wie machen wir es denn im täglichen Leben? Wenn wir im Schuhgeschäft endlich drei Paar Schuhe beisammen haben, die einigermaßen in Frage zu kommen scheinen, dann HALTEN WIR SIE NEBENEINANDER, um festzustellen, welches Paar denn nun das Beste ist. 


Qualität erkennt man niemals so leicht, wie wenn man vergleicht. Und nur durch Vergleichen schult man sein Qualitätsempfinden. 


Man könnte also einen Text schreiben, ruhen lassen, kritisch lesen, nochmal ruhen lassen - und dann, ohne ihn nochmal anzusehen, dieselbe Geschichte NOCHMAL schreiben. Ruhen lassen. Und nun VERGLEICHEN.

Es ist nicht gesagt, daß die zweite Fassung besser sein muß. Oft ist sie es, vor allem dann, wenn man beim ersten Mal noch nicht so genau wußte, wo es langgeht. Manchmal ist man entspannter, wenn man weiß, eine Fassung hab ich ja schon, die nicht so übel war. Manchmal aber ist man beim Schreiben in einer sehr ekstatischen Stimmung, fast eine Art Rausch, und kann eine Ursprünglichkeit und Kraft einfangen, die man nicht mehr hat, wenn sich der Kopf zu sehr einschaltet. 


Ich gestehe aber, daß ich selten etwas zweimal geschrieben habe, weil mir das zu langweilig war. Wenn ich einen Text zum zweitenmal geschrieben habe, dann war der Grund meistens... ein Datenverlust.



Ich denke, gut zu schreiben ist vor allem harte Arbeit.

Erich Kästner hat einmal etwas darüber gesagt, wie sehr er an einem Text feilen müsse, damit der sich so liest, als sei er ganz leicht und locker-flockig hingeschrieben worden... 


Aber andererseits gibt's das auch - diese magischen Momente, wo es fließt, und nachher steht ein Text da, der einem gleichfalls magisch vorkommt (hoffentlich nicht nur einem selbst). Henry Miller nannte das 'cadenza'. 




Ich fand die Bemerkung, daß das Lehrgeld, um das Schreiben in einem bestimmten Gebiet zu erlernen, 100.000 Worte beträgt, interessant.

Ich habe jetzt selber mal nachgerechnet, und finde die Zahl 100.00 auch etwas zu schonend. Eine Million Worte - das scheint mir angemessener. "Schreibe eine Million Worte, und du kannst schreiben." Klingt doch wie eine tolle Regel, oder? - Zumindest: wenn man es dann noch immer nicht kann, kann man es guten Gewissens dreingeben. Oder umgekehrt: solange man diese Marke nicht erreicht hat, darf man nicht aufgeben. 


Wichtige - und nun ernstgemeinte - Anmerkung hierzu: Wenn man die eigene Entwicklung über einen längeren Zeitraum verfolgt, stellt man fest, daß die Fähigkeiten nicht kontinuierlich, sondern etappenweise zunehmen. Sozusagen in QUANTENSPRÜNGEN. Eine ganze Weile tut sich nichts, und plötzlich tut's ein Schlägle... Das gilt übrigens für alle Fähigkeiten, die trainiert werden. Sportstudenten wissen das. 




Peter Eisenhardt skizziert seine Geschichten auf großen Packpapierbögen und Tafeln. Machen Sie das in Wirklichkeit auch? Ich habe es bei meinem aktuellen Roman versucht, hatte jedoch Probleme hierbei ein System zu entwickeln.

Nein, ich arbeite mit Notizbüchern, kleinen karierten A5-Spiralblocks zu knapp 2 € das Stück. Darin entwickle ich den Roman langsam von der ersten groben Struktur bis hin zu den einzelnen Szenen, und das Ganze parallel zum eigentlichen Schreiben, was ich immer direkt am Computer mache. 


Aber da muß jeder seine eigene Methode entwickeln. Mit großen Packpapierbögen hat, glaube ich, Heinrich Böll gearbeitet. Manche legen sich wochenlang aufs Sofa und erträumen sich die ganze Geschichte, um sie dann in einem Rutsch hinzuschreiben. Man muß herausfinden, was für einen selber funktioniert. Der wichtigste Bestandteil des ganzen Prozesses ist nicht diese oder jene Methode, sondern das, was sich im Gehirn abspielt. 




Wie ist das eigentlich mit den Regeln, die man für journalistische Texte lernt, wie etwa nicht zu lange Sätze zu bauen (15 Worte; der hier ist schon viel zu lang), passive Konstruktionen zu vermeiden, kann man das auf Fiction übertragen?

Alle diese Regeln haben ja Gründe. Wenn man in einem belletristischen Text die gleichen Gründe hat, kann man die gleichen Regeln anwenden. Manchmal hat man aber andere Gründe. Kurze Sätze wirken anders als lange. Passive Konstruktionen wirken anders als aktive. 


Ich halte eigentlich nichts davon, sich solcher Möglichkeiten von vornherein zu berauben. Gut ist es sicher, sich solcher Einflußfaktoren bewußt zu sein, aber es kommt immer darauf an, wie der Text klingen soll. 





In Ihrer Rezension zu "Writing down the bones" schreiben Sie, dass sie sofort mit der einzigen Übung begonnen haben, die in diesem Buch vorkommt. Nämlich dem Schreiben. Was haben Sie in dieser Phase geschrieben? Kurze Geschichten? Gleich einen Roman? Oder einfach nur "the worst junk in the world"?

The worst junk in the world. Das ging ungefähr so: "Ich weiß nicht ob das was wird ich meine wird das was das ist doch alles Käse das klappt doch nicht das bringt überhaupt nichts das ist das Blödste was ich je gemacht habe ich sollte es aufhören aber ich werde es jetzt zehn Minuten lang machen wie lange ist es oh noch nicht mal eine Minute vergangen das halt ich nicht aus und mein Finger tut mir auch schon weh..." 


Hat nicht viel Ähnlichkeit mit etwas, das irgendwer lesen möchte, nicht wahr? Aber ich fand es sehr befreiend und fand meinen Spaß daran, es einfach zu tun. Immerhin, ich schrieb etwas, und das an sich machte Spaß. Dann, später, las ich das mal durch und fand auf ca. 30 Seiten einen einzigen Satz, den ich gut fand, aber den dafür richtig gut. Poetisch. Wie es einem nur gelingt, wenn das vernünftige Denken gelangweilt abschaltet. Und das war es wert, fand ich. 


Wohlgemerkt: Goldbergs "Timed Exercise" ist genau das - eine Übung. Ein Training. Sozusagen das Aufwärmen für den eigentlichen Lauf. Ihr Hauptzweck ist, das Hauptproblem beim Schreiben zu lösen - den "Integrierten Lektor" zum Schweigen zu bringen. Sie ersetzt nicht alles andere, was man noch veranstaltet um das eigentliche Schreiben herum - das Charakterisieren der Personen, das Skizzieren der Handlung usw. 




Da gibt es Regeln, die völliger Schwachsinn sind (schreibe nie in der ersten Person), die aber angeblich vom sogenannten Markt verlangt werden.

Das Problem entsteht, wenn
Verleger an Regeln glauben. Immer kritisch. Auch wieder die Geschichte mit dem Urteilsvermögen...! Aber irgendwann kommt immer einer, bricht alle Regeln und hat genau damit Erfolg. 




Wie stehen Sie zu der Adjektiv-Problematik? Zensieren Sie ihre Adjektive, wenn Sie das Gefühl haben, dass Sie zu viele einsetzen oder sagen Sie: ich will dieses Adjektiv (oder Adverb) hier und jetzt und dabei bleibt es, egal, ob es eine Häufung gibt?

Offen gestanden verwechsle ich die Begriffe Adjektiv und Adverb immer wieder, wie ich generell in Grammatik ganz schlecht bin. Deshalb tue ich mich wohl auch mit der neuen deutschen Linksschreibung so schwer: weil ich nicht nach Regeln Deutsch gelernt habe, sondern durch erstens Lesen, zweitens Lesen und drittens Lesen. Imitation also. 


Aber immerhin bin ich imstande, die Teufelsdinger zu identifizieren, die Sie meinen. So ein Satz wie "Die blutjunge Frau legte ihre schmale Hand an ihre blasse Stirn..." läßt bei mir schon die Alarmglocken klingeln. Hoffe ich jedenfalls... :-) 


Es geht ja darum, in einem Text die Stellen zu identifizieren, an denen er gut ist, und die, an denen er schlecht ist. Adjektive und Adverbien sind lediglich ein Indiz dafür, daß an einer Stelle möglicherweise etwas schlecht ist. Aber warum? Nicht weil Adjektive an sich verboten gehörten - man braucht sie manchmal durchaus. Oft sogar. Nein, der übermäßige Gebrauch weist darauf hin, daß man an dieser Stelle ein unklares Bild hat von dem, was geschieht, oder aber es schlampig eingefangen hat - was man durch Wortigkeit, viele "ungefähre" Beschreibungen usw. auszugleichen sucht. Ein Indiz also, daß man den TREFFENDEN Ausdruck noch nicht gefunden hat. Darum geht es. 




Es gibt bestimmte Kriterien, die man immer wieder hört und die jeder Editor und Agent wiederkäut, ob er nun Ahnung vom Schreiben hat oder nicht. James Frey hat diesen Diskurs auch für das deutsche Publikum zusammengefasst.

Man sollte sich gerade als "Nachwuchsautor" einmal ernsthaft die Frage stellen, warum man eigentlich nie Romane von, sagen wir, Sol Stein, James N. Frey oder ähnlichen Schreibgurus in den Bestsellerlisten findet. Ich meine, diese Leute haben die Regeln doch wirklich verstanden, oder? Und so beschäftigt damit, Schreibworkshops zu geben, daß sie nicht dazu kämen, einen Millionenbestseller zu schreiben, dürften sie auch nicht sein. Was heißt EINEN Millionenbestseller? Permanent die vordersten Plätze blockieren müßten sie mit Romanen, die uns beim Lesen die Socken ausziehen. Tun sie aber nicht. Tatsächlich lesen sich die Erzeugnisse dieser Herren in der Regel, vorsichtig ausgedrückt, doch eher bemüht. 


Man gerät, wenn man zu viele Bücher übers Schreiben liest, leicht in die Falle, Romane (fremde und eigene) nur noch danach zu beurteilen, ob sie DIE REGELN EINHALTEN - nicht danach, ob sie GUT sind. Das sind aber zwei Paar Stiefel. Zuviele Regeln im Kopf verstellen die Sicht auf das, was tatsächlich abgeht. Mit Regeln im Kopf Romane zu schreiben, das ist so, wie wenn ein junger Mann Ratschläge eines Sexratgebers auswendig lernt, ehe er zu einem vielversprechenden Rendezvous aufbricht. Beides wird schiefgehen. Beides aus praktisch den gleichen Gründen. 


Der einzige Autor unter denen, die sich zum Thema "Bestseller schreiben" geäußert haben, der nun wirklich sachkundig ist, ist Stephen King. Dankenswerterweise hat er dieses wunderbare "On Writing" veröffentlicht, in meinen Augen eines seiner besten und bewegendsten Bücher überhaupt, und interessanterweise sagt er darin Dinge, die dem, was so gemeinhin ständig wiedergekäut wird, teilweise diametral zuwiderlaufen. Von Plotlinien, Turningpoints usw. hält er schon mal überhaupt nichts, dagegen viel davon, in das eigene Innere abzutauchen und die Geschichte in sich selber zu finden - von Phantasie, kurz gesagt. 


Regeln versuchen das, was eine gute Geschichte ausmacht, irgendwie faßbar, greifbar zu machen. Ich sage nicht, daß sie das nicht teilweise auch tun. In behutsamen, nahezu homöopathischen Dosen können sie einem mitunter weiterhelfen. Aber man muß aufpassen mit der Dosierung. 


Was halten Sie von Reich-Ranickis Aussage, daß nur EIN Buch einen Umfang von mehr als fünfhundert Seiten rechtfertigt, nämlich das Telefonbuch?

Was soll ich dazu sagen, nachdem ich mit "Eine Billion Dollar" nur mühsam und mit viel Kürzen unter tausend Manuskriptseiten geblieben bin? Ich glaube, Reich-Ranicki kann manchmal einfach einer Pointe schwer widerstehen. 




Wer sagt eigentlich, dass man Romane nicht aus der ersten Person schreiben sollte?

War mal so eine Maxime, die eine Zeitlang umhergeisterte. Hören Sie sich mal um: Sie werden erstaunlich viele Leute finden, die sagen, "Romane in der Ich-Form kann ich nicht leiden". Aber Sie haben Recht, es ist Blödsinn. Da darf man sich nicht von solchen dummen Regeln leiten lassen, sondern muß sich überlegen, was der Geschichte angemessen ist. 


Iain Banks bringt es sogar fertig, einen Roman zum Teil in der "Du"-Form zu schreiben - und es ist nicht nur saugut, sondern am Schluß auch noch total logisch! (Sein Thriller "Complicity", dtsch. "Verschworen".) 




Beschreiben Sie grundsätzlich alles von "außen nach innen", vom "Groben zum Detail" oder beschreiben Sie auch hier wieder nur je nach Bedarf und Notwendigkeit und eher spärlich?

Grundsätzlich mache ich nichts grundsätzlich. 


Und manchmal nicht mal das. 



Sich in einer Fremdsprache auszudrücken, lernt man auch nur dadurch am besten, daß man sie spricht. Ohne sich ständig um grammatikalische Regeln zu bemühen, oder Sorgen zu machen, ob der Ausdruck auch 100%ig stimmt. Die Übung macht's, wie überall.

Das ist überhaupt ein guter Vergleich. Bestimmt könnte ich auch Französisch, wenn ich es über mich gebracht hätte, eine Million französischer Worte zu sprechen (ginge ja auch viel schneller als 1 Mio deutsche... :-). Aber das war mir zu
difficile... in meinem ersten und einzigen Frankreichurlaub bin ich wahrscheinlich nicht über ca. 50 hinausgekommen. 


(Nachtrag 2004: Inzwischen ist mein Französisch natürlich deutlich besser. Und ich mache es genau so: Ich spreche, ohne mir um Grammatik viele Gedanken zu machen, so viel wie möglich. Ich höre gut zu, wie andere reden, schnappe Ausdrücke auf und so fort... so entwickelt sich ein Gefühl dafür, was "richtig" ist, ohne daß ich grammatikalische Regeln pauken muß. Eine Grammatik habe ich natürlich trotzdem; da schaue ich rein, sobald mich mal etwas ganz genau interessiert.)




Ich habe in James Frey`s Buch "Wie man einen verdammt guten Roman schreibt" gelesen, dass man die Ich-Erzählung in seinem Erstlingswerk vermeiden sollte. Nun habe ich schon ca. 50 Seiten geschrieben, eben in genau dieser Form. Es ist zwar wahrscheinlich kein allzugrosser Aufwand, das nochmal umzuschreiben, aber blöd ist es schon.

Zunächst: Aufwand ist kein Kriterium, wenn es um ein Buch geht. Kriterium kann nur sein: Wird das Buch dadurch besser? Wenn Sie antreten mit einem Buch, in dem Sie nicht mindestens 110% geben, das nicht das beste ist, was Sie unter Aufbietung von allem, was Sie draufhaben, hinkriegen - dann können Sie es sich sparen. Dann verdient bloß die Post. 


Übrigens werden Sie Ihren Roman sowieso noch zwei- bis dreimal umschreiben müssen; die erste Fassung ist nie brauchbar. Da kommt es auf 50 Seiten mehr oder weniger nicht an. 




Mein Lektor bemängelte in einem Satz einen Reim, den ich aber absichtlich plaziert hatte. Sind Reime in Prosa generell nicht ratsam?

Das kann man so nicht sagen. Manchmal kann man großartige Effekte damit erzielen. 


"Die ganze Nacht herrschte Hauen und Klauen, Stechen und Brechen, bis am Morgen..."

wirkt stärker als


"Die ganze Nacht herrschte Schlagen und Stehlen, Stechen und Zertrümmern, bis am Morgen..."


Wenn sich Worte reimen, wirkt das stark, und wenn sich die falschen Worte reimen, wirkt es u.U. in die falsche Richtung. Wie ein Gewürz, das nicht zum Rest des Gerichts paßt. 




Ich weiß durch meine Tätigkeit als Spielleiter, dass es mir nicht an Kreativität mangelt...

Das Problem des Schreibanfängers ist auch nicht mangelnde Kreativität, sondern mangelnde Fertigkeit im Umgang mit dem geschriebenen Wort. 




Ich versuche eine Reihe von Wörtern, darunter "man", "ganz", "einmal", "gerade" etc. - also zweideutige Wörter, zu vermeiden.

Über "man" habe ich mir noch nie Gedanken gemacht. Aber ich vermeide auch nach Möglichkeit Wörter wie "ganz", "sehr", "tatsächlich" usw. - Füllwörter eben. Manche "Lieblinge des Monats" bemerkt man leider erst, wenn das Buch gedruckt ist. In der "Billion" holt z.B. unheimlich oft jemand tief Luft. Und zu den "Haarteppichknüpfern" meinte mein liebreizender Bruder: "Es kommt unermeßlich oft das Wort 'unermeßlich' darin vor." 




Sie sagen, in der Wahrnehmung des Publikums könnten heute deutsche SF-Romane meistens nicht mit der internationalen Konkurrenz mithalten können, was Stil, Sprache und allgemein Handwerkliches anbelangt. Woher kommt das? Ich verstehe nicht, wieso die englischsprachigen Autoren das bessere Werkzeug haben sollten. Gibt es da konkrete Beispiele? Ist vielleicht ihre Sprache grundsätzlich mächtiger?

Das hat logischerweise nichts mit der Mächtigkeit einer Sprache zu tun, denn das, was ich gesagt habe, läßt sich ja auch an Übersetzungen ins Deutsche festmachen. Nein, die englischsprachigen Autoren haben das bessere Werkzeug, und zwar aus literaturhistorischen Gründen. Während sich hierzulande Literatur im Dunstkreis von Mäzenatentum und Geniekult entwickelte, war sie in den angelsächsischen Ländern seit jeher auf die Akzeptanz durch das Publikum angewiesen: Schon Shakespeare mußte vor allem anderen abends sein Theater VOLL kriegen; sein literarischer Nachruhm war ihm dagegen eher schnurz, glaube ich. Und das prägt eben bis heute. 




In meinem Kopf läuft die Geschichte schneller ab und entwickelt sich weiter als ich sie zu Papier bringen kann. Meine Phantasie läuft auf Hochtouren. Wo beginne ich? Könnte ich die Geschichte die abläuft auf Band sprechen und dann in weniger "kreativen" Minuten zu Papier bringen? Geht da nicht das gewisse Etwas verloren?

Das kann man nicht wissen, das müssen Sie einfach mal ausprobieren. Grundsätzlich muß jeder Autor die Methode finden und entwickeln, die zu ihm paßt. Eine Erzählung auf Band sprechen könnte ich nicht, aber es gibt Autoren, die überhaupt NUR diktieren, also spricht nichts Grundsätzliches dagegen. Vielleicht ist es ja sogar DIE Lösung für Sie - also: probieren Sie es aus! 


Das "gewisse Etwas" ist allerdings nichts, das irgendwie durch Geschwindigkeit eingefangen werden müßte oder könnte. Gewiß gibt es Momente, in denen einem das Schreiben leicht von der Hand geht und der Text wie von selbst begnadet gut gelingt, und da hat das Schreiben durchaus etwas von "einfangen" - aber so schön es wäre, wenn man einen ganzen Roman in so einem Zustand schreiben könnte, in der Praxis geht es nicht. Da hat man auch Phasen, in denen man sich quält und die Worte alle schief und falsch wirken und sind, und da muß man eben auch durch. Ein großes Ganzes wird ein Roman erst durch Überarbeitung, und dabei kommt es darauf an, das "gewisse Etwas" gewissermaßen aus den Textbruchstücken herauszuschälen, die man in der Rohfassung angehäuft hat: wie ein Bildhauer alles wegzuhauen, was nicht dazugehört. Als gute Regel kann man sagen, daß mindestens 10-20% einer Rohfassung gestrichen werden müssen: die Kunst ist, zu erkennen, WELCHE 10-20%. 




Übrigens habe ich neulich in einer Zeitschrift eine interessante Geschichte gelesen, wie man heutzutage Bestseller macht.

Jo. Solche Geschichten sind meist schlichtweg - gelogen. Sprich, nach dem Motto "hinterher ist man immer schlauer" und "Prognosen sind viel einfacher, wenn man sie im Nachhinein abgibt" wird etwas als durchdacht und geplant dargestellt, was es in Wirklichkeit nie war. Man findet ähnliches oft z.B. in literaturwissenschaftlichen Werken, die sich mit "Trivialliteratur" befassen, regelrechte "So-macht-man-heutzutage-Bestseller"-Anleitungen. Nur - sie funktionieren nicht. Logischerweise, sonst hätte jeder Verlag nur noch Bestseller, nicht wahr? 




Über die Wahrscheinlich-erkennt-man-nur-mein-schriftstellerisches-Genie-nicht-Ego-Phase bin ich schon hinweg, gleichermaßen über die Sache mit dem Glück. Nun denke ich, daß meine Geschichte einfach nur schlecht ist. Nicht schlecht im Sinne von keine Story, flacher Protagonist, Logik- und Grammatikfehler en mass, sondern schlecht, weil zu sehr für mich selbst geschrieben. Und dazu auch meine Frage an Sie: Mache ich mir etwas vor, wenn ich davon ausgehe, daß ich beim Schreiben alles nur aus mir herausfließen lassen muß, um ein gutes Buch zu schaffen? Vielleicht brauchen gute Bücher mehr Disziplin, mehr Korsett? Müssen mehr konstruiert werden? Nicht nur herausgelassen?

Das kann man so nicht sagen. Grundsätzlich zählt nur, was am Ende auf dem Papier steht und was es beim Leser auslöst - Begeisterung? Faszination? Langeweile? Gähnen? Grauen? Freude? Gefühl, jedenfalls. WIE Sie das machen - ob Sie es im Drogenrausch hinfetzen oder sorgsam Wort für Wort konstruieren, ob Sie im Schreibtaumel ekstatisch mit den Worten tanzen oder ob Sie sich mit jedem Satz abquälen, ist egal. Wenn es funktioniert, funktioniert es. Es gibt so viele Arten zu schreiben - das heißt: "Texte zu erstellen" -, wie es Autoren gibt.


Was allerdings sein kann, ist, daß das, was Sie schreiben, zu PRIVAT ist. Ein Roman muß, um andere Menschen zu erreichen, eine gewisse Allgemeingültigkeit erreichen; muß etwas widerspiegeln, das Sie mit anderen gemeinsam haben. Etwas, das im weitesten Sinne eher dem Tagebuch verwandt ist - das Außenstehende nicht verstehen können -, ist nicht geeignet zur Veröffentlichung.


Es gibt ein Handwerk des Schreibens, das über Grammatikregeln, Rechtschreibung und Kommasetzung hinausgeht, und das gibt es nicht ohne Grund. So wie ein Maler auch nicht einfach drauflospinselt, sondern vielleicht vorskizziert oder Studien anfertigt ("wie male ich eine Hand, die einen Füllhalter hält?"), so ist auch das Erarbeiten eines Romans teilweise "Fließen", teilweise sorgsames Nachdenken. Jedenfalls bei den meisten.


Ich habe aber das Gefühl, daß Sie vielleicht, ehe Sie an Ihrer Technik bzw. Nichttechnik was ändern, erst mal mehr Kontakt zu Lesern suchen sollten - im Bekanntenkreis, und möglichst Leute, die nicht wild entschlossen sind, alles von Ihnen nobelpreisverdächtig zu finden (Mütter und Väter sind idR ungeeignet). Achten Sie auf deren Reaktionen. Wollen die mehr lesen? Immer ein gutes Zeichen. "Mmmngjooh, ganz interessant..." ist eher kein so gutes Zeichen. Ich fand es immer sehr interessant, still dabeizusitzen, wenn jemand was von mir liest - seine Reaktionen, vor allem aber MEINE Reaktionen. "Ah, jetzt kommt er an die Stelle, wo mein Held... hmm, vielleicht hätte ich die anders schreiben sollen..." - ganz bestimmt! Und auf einmal geben Sie sich selber Ratschläge, was natürlich immer das Beste ist. 




Ich möchte gerne einen Roman schreiben, einen Fantasy-Roman mit Tiefgang, eine eher traurige, melancholische Geschichte. Mein Problem ist dann aber die Sprache. Da kann ich ja dann all die irren Wörter nicht mehr benutzen, weil sie ganz einfach nicht passen. Dadurch habe ich immer das Gefühl, dass das nicht richtig gut ist, dass mein individueller Stil dabei abhanden kommt. Aber ein anderes Genre erfordert doch wohl eine andere Ausdrucksweise?! Haben Sie vielleicht eine Idee, wie ich mit diesem Problem umgehen könnte?

Ja, es ist geradezu das kennzeichnende Talent eines Schriftstellers, seine Ausdrucksweise den Notwendigkeiten seines Vorhabens anpassen zu können. Wer nur einen Hammer hat, sieht überall Nägel heißt es - deshalb darf man als Schriftsteller nicht nur einen Hammer haben, sondern braucht auch Schraubenzieher, Feilen, Sägen, Bohrer usw. 


Mit anderen Worten: Die Herausforderung, die Sie sich stellen, erfordert, daß Sie Ihren "Werkzeugkasten" erweitern. 


Wie? Am besten, indem Sie aufmerksam und mit dem Auge des "Machers", nicht des Lesers, Romane anderer Autoren lesen und auf die Sprache achten - auf Worte, Satzbau, Satzrhythmus usw. 


Was den berühmten "individuellen Stil" anbelangt - um den braucht man sich nicht zu kümmern, der entwickelt sich von selber. Alles, was man daran absichtlich tut, verfälscht nur den Entwicklungsprozeß und bewirkt, daß man manieriert wirkt. Oder affig, anders gesagt. Streben Sie danach, sich der zu erwählenden Geschichte entsprechend auszudrücken, und Ihr eigener Stil kommt von selbst. 




Ich habe das Gefühl, zunehmend schlechter zu werden. Vielleicht mach ich mir ja nur zu viel Druck. Meine allererste Geschichte hat gleich einen (winzigen) Wettbewerb gewonnen. Seitdem ist immer der Gedanke da: Jede Seite muss ein Hammer sein.

Ja, ich würde sagen, Sie machen sich zuviel Druck. Gerade wenn Sie noch nicht viel geschrieben haben, steht Ihr schriftstellerisches Selbstbewußtsein noch auf wackligen Beinen. Ich vermute mal, Sie versuchen unbewußt immer, Ihre erste Geschichte zu imitieren - aber Imitationen sind eben nicht "the real thing". 


Was tun? Sie müssen sich frei schreiben. VIEL schreiben. VIEL BLÖDES ZEUG schreiben. Sachen schreiben, die IHNEN vor allem SPASS machen; egal ob sie nun Hämmer sind oder Beißzangen oder Eislöffel. 
Probieren Sie es mal mit der in dem Buch "Writing Down The Bones" von Nathalie Goldberg beschriebenen Übung (steht auch irgendwo auf meiner Homepage, sowohl das Buch als auch die Übung, die ich in irgendeiner Antwort beschreibe) des "Schnellschreibens". (Das Buch soll es auch auf Deutsch geben, habe ich gehört; "Schreiben in Cafés" oder so heißt es, im Autorenhaus-Verlag?) 




Stimmt es, dass viele Erstlingsautoren an der Ich-Form gescheitert sind und ist es wirklich besser eine andere Form zu benutzen?

Drei Dinge sprechen gegen die Ich-Erzählung:

  1. Viele Leute mögen diese Form nicht. Einfach so. Geschmackssache. Ich habe mehrere Romane in der Ich-Form veröffentlicht, und jeder hat Kommentare eingefahren wie "Ich-Erzählungen mag ich ja normalerweise nicht" oder "ich hätte es vorgezogen, wenn der Roman nicht in der Ich-Form" usw. - während umgekehrt mir niemals jemand geschrieben hat, daß er es besonders toll fand, einen Roman in der Ich-Form zu lesen.
  2. Die Ich-Erzählung zu bewältigen erfordert mehr schriftstellerische Erfahrung. Beschreibungen, Spannungsaufbau, Führung der Handlung usw. - das muß alles weitaus konsequenter aus der Perspektive des Erzählers erfolgen, und es ist nur schwer bis gar nicht möglich, die Perspektive zu wechseln (der oft der Spannung und dem Erzählfluß gut tut).
  3. Erstlingsautoren haben ohnehin das Problem zu großer Nähe zu ihrem Stoff, und in der Ich-Form zu schreiben verstärkt die Gefahr noch, daß nicht ein Roman draus wird, sondern eine Art Tagebuch, das nur der Autor verstehen kann.

Trotzdem gibt es Geschichten, die zwingend erfordern, in der Ich-Form erzählt zu werden. (Agatha Christis "Alibi" etwa wäre witzlos ohne diese Perspektive.) In dem Fall muß man natürlich trotz allem diese Form wählen. Aber eine Überlegung, ob nicht die dritte Person die bessere Erzählperspektive ist, sollte man immer anstellen, und das Für und Wider gründlich bedenken

Warum ist eigentlich das Präsens so ungewollt?

Keine Ahnung, ich weiß nur, daß ich Bücher im Präsens meist nach der zweiten Zeile wieder zuklappe. Allenfalls ein Meister des Wortes (z.B. Iain Banks) kann mich zu anderen Reaktionen verführen. 


Ich nehme an, es ist eine kulturelle Prägung. In allen Medien entwickeln wir bestimmte Rezeptionserwartungen - z.B. was die Schnittfolge in Filmen anbelangt, die Längen von Songtiteln, daß Gemälde immer viereckig sind, bestimmte Schrifttypen, Seitenformate usw. Genau wie uns ein Roman von nur 50 Seiten abschrecken würde oder ein Roman von 3.000 Seiten, so schreckt uns ein Roman im Präsens ab: Zu ungewohnt. 
Natürlich kann man gegen die Gewohnheiten anschreiben. Man könnte einen Roman in der Du-Form schreiben und im Futur, warum nicht? Man könnte Popmusik ohne Schlagzeug machen, Kinofilme in Rot-Weiß drehen, Zeitungen im Postkartenformat herausgeben. 


Aber wenn man das tut, muß einem klar sein, daß der Bruch mit den formalen Konventionen den Inhalt dessen, was man tut, überlagern wird in der Wahrnehmung. Die Entscheidung bezüglich des Präsens ist also die: Will ich gegen Konventionen angehen oder will ich dem Leser ein Leseerlebnis verschaffen? Ein Leseerlebnis heißt, er soll vergessen, daß er liest, und ganz eintauchen können. Und das kann er eher, wenn die Form ihm nicht entgegenarbeitet, das Buch also nicht 5x40 cm mißt und in vierfarbiger Dekoschrift gedruckt ist, die alle Absätze wechselt usw. - sondern wenn es einfach nur ein gewöhnlich aussehendes Buch ist. In gewöhnlicher Vergangenheitsform. 




Ich gehe schon seit über einem Jahrzehnt mit einer "großen Idee" schwanger, sammle Ideen dazu, baue das immer weiter aus. Aber es ist das erste große Werk, das ich schreibe; vorher gab es nur ein paar Kurzgeschichten. Da die Faustregel besagt, dass der erste Roman Mist ist, sollte ich dieses große Projekt erst einmal auf Eis legen und ein anderes (oder ein paar) zum "Warmwerden" schreiben? Oder denke ich da zu technisch?

Das ist schwer zu sagen. Der erste Roman ist in der Regel Mist, ja. Vielleicht sind auch die ersten zehn Romane nicht besonders gut. Aber üben muss man, und ein Roman ist ein zu grosses Vorhaben, als dass man einen "nur zur Übung" schreiben könnte. Um durchzuhalten, muss man ein Thema, eine Idee haben, an der einem wirklich liegt, die sozusagen in einem lodert. Und wer weiß? Margaret Mitchell hat auch nur einen einzigen Roman geschrieben, es war ihr erster und letzter - "Vom Winde verweht" - bekanntlich nicht ganz unerfolgreich.. 




Ich habe mit einem Manuskript begonnen und bisher erst fünf Seiten geschrieben (das ist wahrhaftig nicht viel). Aber schon jetzt zweifle ich sehr stark an meinem Stil. Ich kann es einfach nicht beurteilen, ob das gut ist, was ich da zu Papier gebracht habe, oder nicht, selbst wenn ich das Geschriebene hinterher zehnmal durchlese.

Nach fünf Seiten alles durchzulesen und darüber nachzudenken, ob es gut ist, ist auch viel zu früh. Schreiben Sie erst den Roman oder die Kurzgeschichte ZU ENDE, legen Sie den Text einen Monat in eine Schublade und lesen Sie ihn DANN ERST!


Seinen Stil entwickeln ist wie Einschlafen: Es gelingt einem nicht, wenn man sich anstrengt, es zu tun. Es muß nebenbei kommen. Konzentrieren Sie sich darauf, gute Geschichten zu erfinden und so gut zu erzählen, wie Sie können, dann kommt der Stil mit der Zeit von selber. 


ES ZÄHLT NUR, WAS SIE FERTIG SCHREIBEN. Nur das bringt Sie weiter. Das Grübeln und Lamentieren dagegen nicht. Also schreiben Sie Ihre Dinger FERTIG, auch wenn Sie beim Schreiben das Gefühl haben, den größten Bockmist seit Erfindung der Schrift zu verzapfen. Wichtig ist, daß irgendwann ENDE darunter steht. Dann erst Manöverkritik, und wenn es Bockmist ist, okay, Boris Becker hat anfangs auch viele Bälle ins Netz gehauen. Neues Spiel, neues Glück. Übung macht den Meister, nicht Herumgejammere vor lauter Selbstzweifeln. 




Ich habe das Gefühl, dass ich irgendeinen Fehler mache, wenn ich die Kapitel wechsle. In dem Moment mache ich so einen harten Schnitt in der Handlung, dass es die ganze Spannung irgendwie zerreißt. Ich wollte aber unbedingt einen zeitlichen Schnitt machen, weil in dieser Zeit rein gar nichts passiert, außer eben der Hochzeit, die ich aber gar nicht näher beschreiben will. Wie kann ich so einen harten Schnitt vermeiden?

Wahrscheinlich ist es so, daß der Leser, wenn er das neue Kapitel anfängt, erst mal völlig verwirrt ist und sich mühsam zusammensuchen muß, wo er sich befindet und was eigentlich los ist. Wenn der Leser aber verwirrt ist, verschwindet die Spannung. Damit Spannung herrscht, muß der Leser genau wissen, wo er ist, mit wem er es zu tun hat und was gerade vor sich geht. Nur wenn das alles klar ist, kann er sich fragen, wie das alles enden wird - und darauf geSPANNt sein! 


Das, was nicht interessant ist, sollte man natürlich weglassen. Um den Leser informiert zu halten, reicht es auch, wenn man ihm ein paar Anhaltspunkte gibt: 


"Doris und Bernd heirateten drei Monate später, an einem regnerischen Mittwoch im August, und als sie im Herbst nach Kleinfeinhausen in ein Reihenhaus am Waldrand zogen, wußten sie schon, dass Doris schwanger war. Als Felix drei Jahre alt war, sagte Doris eines Abends ..."


Zwei Sätze, und schon haben wir vier Jahre (die Schwangerschaft mitgerechnet) übersprungen und können weitermachen. 


Ein Autor, der diese Art erzählerischer Übergänge hervorragend beherrscht, ist Jeffrey Archer. Den kann ich Ihnen da als Vorbild ans Herz legen; ich lese ihn selber gern, erstens weil er toll schreibt, und zweitens, um von ihm zu lernen. 




Wieviel Sätze haben das elektronische Kurzzeitgedächtnis des Rechners nicht verlassen, indem sie beimm Schreiben noch umformuliert wurden? Wieviel Sätze haben ihr Leben auf verworfenen Manuskriptseiten in einem Altpapierrecyclinghof oder Kaminfeuer bescheiden müssen?

Viele Sätze werden erst im Kopf zehn Mal umformuliert, ehe sie getippt werden. Und die getippten Sätze werden später nochmal umformuliert. Das dürfte insgesamt eine Rate von 15:1 sein, schätze ich. 


Die Sätze im Papierkorb sind dann nicht mehr so viele - 10% des gesamten Geschrieben, schätze ich. 


Aber letztendlich sind das müssige Fragen. Was sagen die Antworten aus? Wenn Sie einen Schreiner fragen, wieviel % seines Holzes im Verlauf der Arbeit zu Sägemehl wird, was wissen Sie dann über die Qualität des Tisches, den er baut? Nichts. Allenfalls können Sie, wenn Sie fertige Tische und Prozentzahlen vergleichen, etwas darüber herausfinden, welcher Schreiner wie effizient arbeitet. 




Wenn jemand zum Beispiel keinerlei Fähigkeiten hat, im Kopf zu formulieren (geht das?), und er also so etwa 15 mal den Text neu durch den Drucker quält, und da ist jemand, der die ersten 70-80% schon im Kopf rumdrehen kann, und nur noch einige Worte oder Sätze umstellt und anders formuliert... Der eine ist eher professionell zu nennen, oder geübter, fähiger...?

Geübter, ja. Das im Kopf zu können, ist einfach ein Trainingseffekt, der sich im Lauf der Zeit von selbst einstellt. Bedenken Sie, daß ich seit über 30 Jahren schreibe; würde man meine sämtlichen Manuskripte aufeinanderstapeln, wäre das ein mehrere Meter hoher Berg. Ich wäre ja völlig untalentiert, wenn ich in der Zeit nicht gelernt hätte, ein paar Abkürzungen im Kopf zu nehmen. 


Sie sind Designer: Wenn Sie designen, geht Ihnen das sicher auch so, daß erst mal ein paar Gestaltungsmöglichkeiten vor Ihrem inneren Auge aufblitzen und verworfen werden, ehe Sie den Stift aufs Papier/Tablett setzen, oder? 




Ich schreibe einen Roman, habe dabei keinerlei Ahnung, wie es am nächsten Tag weitergeht, aber mir fällt immer etwas ein, als wäre es vorgezeichnet. Ich komme auf einen Durchschnitt von ungefähr fünf Seiten pro Tag (in jeweils etwa 2 Stunden). Danach geht mir sowohl Puste als auch Ideen aus, aber am nächsten Tag ist alles wieder wunderbar. Außerdem widerspreche ich dabei 90% aller mir bekannten "Regeln" zum Schreiben, zeichne keine Kapitel vor, plane keinen Plot, folge nur einem inneren Trieb, der die Geschichte vorzeichnet und meinem Schreib- und Stilgefühl.

Wenn das so für Sie funktioniert, dann brauchen Sie ja auch keine "Regeln". Wenn Sie auf diese Weise Ihre Geschichte aufs Papier kriegen und die dann auch noch so ist, daß andere sie gerne lesen - wunderbar! Dann bleiben Sie dabei. Mir als Leser ist es egal, wie Sie es machen. Hauptsache, ich habe meinen Spaß beim Lesen. 


Zu einem gewissen Grad schreibt jeder Autor so, auch die, die angeblich alles glasklar konzipieren. Man muß sich irgendwann der Geschichte hingeben, und Hingabe - naja, das ist so eine Sache. Das macht vielen Leuten Angst. Da haben sie lieber Regeln. 


Schreiben ist wie Sex. Da gibt es auch jede Menge Know-how und Regeln und Do's und Don'ts - aber wenn man es macht, kommt irgendwann der Punkt, wo man all dieses Zeug wieder vergessen muß, wenn's gut werden soll. 




Ich habe Angst, in meiner Geschichte zu viele Standardklischees zu bedienen.

Wenn Sie diese Angst haben, ist sie vermutlich berechtigt. 


Aber was hindert Sie, die Klischees zu streichen und stattdessen originelle Elemente einzufügen? 




Von der "Stilfibel" habe ich gelesen, dass es sich um ein eher älteres Werk (fünfziger Jahre?) handelt. Gibt es hier etwas aktuelleres?

So schnell veralten die Grundregeln guten Stils nicht. Der Reiners (eigentlich Engels) ist immer noch topaktuell. Zur Ergänzung - nicht als Ersatz - könnte man noch Wolf Schneider, "Deutsch für Profis", lesen, das sich allerdings eher an Journalisten richtet. 




Man wird mit hoher Literatur niemals hohe Auflagen erreichen, deshalb sollte man vielleicht versuchen, die naive Mittelmäßigkeit beim Schreiben zu erreichen, die die Masse anspricht!

Daß man mittelmäßig schreiben müsse, um große Auflagen zu erzielen: ein gern geglaubtes Märchen, aber ein Märchen. Gabriel Maria Marquez z.B. hat eine weltweite Gesamtauflage von über 100 Millionen, und das trotz eines Nobelpreises. Brecht, Hesse und Böll sind nach wie vor die dicken Umsatzbringer ihrer Verlage, und auch Grass kann über die Konsalik'schen Durchschnittsauflagen nur müde lächeln. Weitere Namen, die Anspruch, Lesbarkeit und Beliebtheit miteinander zu verbinden verstehen, sind etwa Isabel Allende, Umberto Eco, Joyce Carol Oates. 


Richtig hohe Auflagen erreicht man - zumindest auf Dauer - NUR mit hoher Literatur. 


Allerdings ist nicht jede Literatur hoch, die sich dafür hält :-) 




Glauben Sie, dass man (frau) einen guten Roman nur "nach Gefühl" schreiben kann?

Ja, zweifellos kann man das, und frau auch. Was das Verhältnis zwischen Vorausplanung und spontanem Schreiben anbelangt, muß jeder seine ganz persönliche Mischung finden, und es gibt jede Variante - auch die Extreme. Es gibt und gab Autoren, die jede Einzelheit minutiös vorausplanen und den Text dann mehr oder weniger nur noch herunterschreiben, und es gab und gibt Autoren, die einfach drauflosschreiben. Und es gibt Mischformen - Simenon etwa machte sich vorab nur Gedanken um seine Personen und Schauplätze, von der Handlung dagegen ließ er sich selber überraschen. Da muß jeder seinen Weg finden. 




Ich wechsle in meinem Roman öfters zwischen zwei Arten der wörtlichen Rede. Ich gebe Ihnen hierfür zwei Beispiele.
1. Ob man das wohl grammatikalisch so machen könnte, dachte er sich.
2. "Ob ich das wohl grammatikalisch so anwenden kann", dachte er sich.

Das ist, genau genommen, beides KEINE wörtliche Rede - sondern innerer Dialog. Was etwas ziemlich anderes ist.


Die beiden Varianten des inneren Dialogs würde ich so schreiben:
  1. Er überlegte, ob er das wohl grammatikalisch so machen konnte. (NICHT "könnte"!!)
  2. "Ob ich das wohl grammatikalisch so machen kann?", überlegte er.

  1. Er fragte sie, ob man das grammatikalisch so machen könne. (Wieder kein "könnte"!!)
  2. "Kann man das grammatikalisch so machen?", fragte er sie. 




Oder z.B. dieser Satz: Ich weiß nicht mehr wann es war, aber eines Tages schoss mir die Frage in den Kopf, ob das nun alles wäre. Ich bin mir einfach nicht sicher, ob da ein Fragezeichen hingehört.

Ich würde sowieso schreiben:


Ich weiß nicht mehr wann es war, aber eines Tages schoss mir die Frage in den Kopf, ob das nun alles gewesen war. (oder noch besser: "alles gewesen sein sollte")


Also, kein Fragezeichen.


▼
Kann ich diese beiden Varianten in einem Roman mischen, oder sollte ich mich besser für nur eine Art der wörtlichen Rede entscheiden? Und wenn, welche Variante wäre empfehlenswerter?

Denken Sie an Ihre eigene Lektüre. Wieviele Bücher kennen Sie, in denen beides gemischt wird? Machen Sie es genauso. ;-)


OK, im Ernst: Die ganz normale wörtliche Rede ist natürlich am einfachsten grammatikalisch richtig hinzubekommen und empfiehlt sich, wenn man sich unsicher ist, schon von daher.


Die indirekte Rede ist sehr literarisch - und sehr peinlich, wenn die Zeiten nicht 100%ig stimmen. Außerdem ist sie weniger unmittelbar, folglich weniger spannend und meistens anstrengender zu lesen. Meines Erachtens ist ihr Platz in zusammenfassenden Schilderungen wie z.B.

... Er erzählte ihr drei Stunden lange von seinen jahrelangen grammatikalischen Studien in der Staatsbibliothek und fragte sie dann, ob sie mit ihm ausgehen wolle. Verblüfft von dem raschen Themenwechsel, sagte sie zu, und so kam es, dass sie sich abends im Café am See trafen, Pizza aßen und zwei Flaschen Rotwein vernichteten und sich so gut unterhielten, dass sie...

Als Hauptstilmittel würde ich sie nicht einsetzen.

Nachtrag 2010: Wenn ein Autor weiß, was er tut, kann er natürlich alles machen. So ist an Daniel Kehlmanns überaus erfolgreichem Roman "Die Vermessung der Welt" gerade der Kniff, dass die Dialoge der Figuren fast durchgehend in indirekter Rede geschildert werden. (Wenn man genau hinschaut, merkt man, dass Kehlmann an ein paar Stellen schummelt. Was der Wirkung aber keinen Abbruch tut.)


Was ist gegen die "allwissende Erzählperspektive" eigentlich einzuwenden? Der Autor, der mir da als Gegenbeispiel vorschwebt, nämlich Friedrich Ani, hat soeben den Deutschen Krimipreis gewonnen, wird in einem Atemzug mit Henning Mankell genannt, und eine Schweizer Zeitung hat das von mir gelesene Buch als einzigen deutschsprachigen Titel in die Liste der zehn besten Krimis des Jahrzehnts aufgenommen. Also so schlecht kann dieser Autor nicht sein.

Also, grundsätzlich gilt natürlich, daß ein Autor ALLES machen darf, Hauptsache, er schreibt ein gutes Buch. Diese ganzen "Regeln" gibt es nur deshalb, weil man versucht, herauszufinden, wie in Dreiteufelsnamen man das eigentlich MACHT. Also: das gute Buch war zuerst da, dann erst kamen die Regeln. Die Regeln sind der Versuch, die handwerkliche Seite in den Griff zu kriegen. Sowas wie "Welcher Pinsel für welche Art Striche taugt" und "Wie man einen Pinsel richtig auswäscht" und "Wie man Ölfarbe verdünnt" für Maler. Und dann kommt da ein Vincent van Gogh, drückt die Ölfarbe direkt auf die Leinwand und verreibt sie mit einem Holzspatel. Und - wow! Die schöpferische Seite, die, die das Neuland betritt, läßt sich nicht mit Regeln erfassen, weil Regeln sich logischerweise nur aus Bekanntem, also Altem, ableiten lassen. Sie dürfen sich über jede Regel hinwegsetzen, wenn Sie einen guten Grund dazu haben. Und der gute Grund muß immer heißen "wenn ich es so mache, wird es besser". Die meisten tun das aber nicht, weil sie einen guten Grund haben, sondern weil sie keine Ahnung haben, daß es solche Regeln gibt oder wenn, dann weil sie sie nicht wirklich verstanden haben. Und besser wird es dann natürlich auch nicht.


Überlegen Sie sich, was Sie erreichen wollen. Ein allwissender Erzähler, der alle zwei Absätze in einen anderen Kopf guckt, ist meistens einfach STERBENSLANGWEILIG!!! Und das ist ein Manko dieser Erzählweise, das Sie dann mühsam auf andere Weise ausbügeln müssen, daß es noch gut wird.


Ich weiß, wovon ich rede. In meinem ersten Roman "Die Haarteppichknüpfer" habe ich noch viel fundamentalere Regeln verletzt. Es gibt darin keinen Helden, keine Hauptfigur. Es gibt nicht einmal eine durchgehende Handlung. Und so weiter; wenn es nicht Regeln wären, sondern Gesetze, säße ich immer noch im Gefängnis. Es war eine Heidenarbeit, das Ding trotzdem lesbar hinzukriegen, und dabei habe ich erst so richtig begriffen, wozu es diese Regeln gibt. In diesem Fall scheint es einigermaßen geklappt zu haben, und vielleicht ist es ein Teil des Effekts, den dieser Roman hat, DASS er eben mit Regeln bricht. Trotzdem ist das etwas, wo man sagen muß: Don't try this at home. Oder: Use at own risk. 




Wissen Sie was mein Problem ist? Ich zweifel verdammt daran, ob das auch nur im kleinsten Ansatz gut ist, was ich da schreibe.

Willkommen in der schönen, grausamen Welt des Schreibens. Sie haben ein Gefühl kennengelernt, daß Sie, sollten Sie beim Schreiben bleiben, nie wieder ganz verlassen wird. Kein Literaturpreis, kein Bestsellerstatus, kein noch so enthusiastischer Verleger wird sie je ganz zum Verstummen bringen, diese Stimme, die nagend fragt: "Ist das WIRKLICH, GANZ WIRKLICH gut??" 




Überall liest man, dass man die "bösen" Abjektive meiden soll, aber nirgends wird näher darauf eingegangen wieso bzw. wie. Wie soll ich etwas Weiches beschreiben, ohne ein Adjektiv zu verwenden?

Zum Beispiel so: "Es gab unter seinen Händen nach." 


Worauf diese Regel hinaus will, ist, daß man gut daran tut zu prüfen, ob ein Adjektiv oder Adverb ENTBEHRLICH ist. Wo nicht, bleibt es natürlich. 


Ein adjektivreicher Stil ist oft einfach kennzeichnend für Kitsch und Schwulst.


Vergleiche:
Die blauen Augen des braungebrannten, elegant gekleideten Frauenarztes blitzten zornig, als er sagte: "Diese vorschnelle Diagnose war ein unentschuldbarer, leichtsinniger Fehler."


mit:

Die Augen des Frauenarztes blitzten, als er sagte: "Diese Diagnose war ein Fehler." 



Ich habe eine praktische handwerkliche Frage: nachdem ich das fertige Manuskript eingereicht hatte, hat mir die Lektorin auf jede Seite mindestens drei mal ein rotes P gemalt - damit meinte sie "Perspektive". Sie kritisierte, dass in einer Szene mehrfach die Perspektive gewechselt wurde und der Erzähler in verschiedene Köpfe hineingucken konnte. 
Zum Beispiel: X hatte Angst, Y könnte jeden Moment eine Waffe ziehen. (...) Y war nervöser, als man es ihm ansehen konnte.
Dies sei nicht möglich, in einer Szene dürfe der Leser nur die Gedanken einer Hauptfigur kennen. Sie kritisierte immer wieder den allwissenden Erzählstil. Aber ich frage mich bis heute: Was ist so verboten einem allwissenden Erzähler? Und seitdem ich daraufhin andere (Kriminal-) Romane aufmerksam lese, stelle ich fest, dass viele Autoren innerhalb einer Szene in mehrere Köpfe hineinschauen. Und als Leser hat mich das noch nie gestört. Ist das eine Marotte einer Lektorin, der ich machtlos ausgeliefert bin?

Ich würde es nicht als Marotte sehen; ich pflichte Ihrer Lektorin nämlich zufällig bei. Und daß andere Autoren schlecht schreiben, sollte man nicht als Ausrede nehmen, es selber auch zu tun. 


Natürlich "darf" man eine Geschichte in allwissender Perspektive schildern. Man darf ja alles beim Schreiben. Die Frage ist, wie es wirkt. Und der allwissende Erzähler ist nun mal ein altbackenes Modell, seit mindestens hundert Jahren aus der Mode, und das aus gutem Grund. Genau wie der Schwarzweiß-Stummfilm ein alter Zopf ist und Farb-Cineplex-Breitwand-Sensorround state of the art. 

Warum ist es besser, eine Szene aus der Perspektive einer einzigen Figur zu schildern? Aus dem einfachen Grund, daß es das einem ermöglicht, dichter an die Figur heranzugehen, uns ihre Gedanken und Gefühle miterleben zu lassen und es uns so zu ermöglichen, uns mit ihr zu IDENTIFIZIEREN. Und das ist es, was man will beim Lesen. Man will MITERLEBEN. Man will mitfiebern. Um eine Figur bangen. Denn dann ist es spannend, und unspannende Bücher gibt es wahrlich genug. 


Ich bitte zu beachten, daß Sie, wenn Sie schreiben,
"Kowalski hatte Angst, Burgmüller könnte eine Waffe ziehen",

wir nicht wirklich Kowalskis Gefühlen miterleben. Sie berichten uns nur, daß Kowalski Angst hat. Na schön, denken wir. Kommt vor. Schulterzuck. 


Wie anders, wenn Sie uns teilhaben lassen!
"Kowalski fühlte einen dicken, dicken Kloß im Hals. Sein Blick wanderte immer wieder zu Burgmüllers Tasche, konnte sich kaum davon lösen. Bloß nicht hinschauen. Nur sich nicht anmerken lassen, daß er wußte, daß Burgmüller eine Pistole darin hatte. Kalten Stahl, der kalte Körper machen konnte. Wenn Burgmüller ahnte, was los war, würde er diesen kalten Stahl ziehen und keine Gnade mehr kennen."


Vielleicht nicht genial, aber besser, oder? 



Wann lohnen sich Prolog und Epilog?

Zunächst eher bei dickleibigen Werken. Dann sollte man darin vielleicht eher Vor- und Nachgeschichte erzählen als eigentliche Handlung - aber auch das ist nicht Pflicht. Kann man auch handhaben, wie man möchte. 




Nun habe ich mir schon einige Bücher zum Thema "Schreiben" besorgt, habe an zwei wirklich guten Schreibworkshops teilgenommen - nur mein Problem, zu schnell und häufig viel zu oberflächlich zu schreiben, habe ich leider noch immer nicht in den Griff bekommen. Haben Sie vielleicht einen "Geheimtipp", dieses Übel auszumerzen?

Leider gibt es im Handwerk des Schreibens so etwas was wie "Geheimtipps" nicht. Nicht wirklich. (Allenfalls sind manche Dinge so unbekannt, daß man meinen könnte, sie seien geheim.) 


Es wird Ihnen nichts anderes übrig bleiben, als Ihre Manuskripte Schritt um Schritt zu verbessern. Zuerst müssen Sie (mit Hilfe tapferer Testleser, aber bemühen Sie sich ruhig auch selber, einen einigermaßen objektiven Blick zu entwickeln) herausfinden: WO fehlt etwas, und WAS fehlt? Welche Handlungsstränge sind verlorengegangen, welche Settings nicht beschrieben/nicht wahrnehmbar, wo müßte man riechen, schmecken, hören, spüren, wo müßte es langsamer gehen, wo fehlen Details? Dann fügen Sie ein, was fehlt, glätten die Übergänge - und neuer Durchgang. 


Einfügen ist schwieriger als Herausstreichen. Ergänzend können Sie deshalb, sozusagen als Gegengift: 


  1. Bücher von Autoren lesen, die ein sehr langsames, ausuferndes Erzähltempo einschlagen. Ich lese gerade Diana Gabaldons "Ruf der Trommel"; die Autorin kriecht im Schneckentempo durch die Handlung, beschreibt sozusagen jeden Baum und jeden Ast an diesem Baum und vergißt auch nicht, die Blätter daran zu schildern ;-)
  2. übungshalber Dinge und Vorgänge sehr minutiös beschreiben und sich eine bestimmte Mindestlänge vornehmen. Beschreiben Sie das Aussehen eines Hühnereis auf 3 Seiten. Schildern Sie den Vorgang, ein Buch aus dem Regal zu ziehen und eine bestimmte Stelle darin zu suchen auf 5 Seiten. Beschreiben Sie eine Wand in Ihrem Arbeitszimmer auf 10 Seiten. Solche Dinge. 


Worum es geht bei solchen Übungen: Um bessere, genauere, detailliertere Wahrnehmung. "Bevor man lernen kann zu schreiben, muß man lernen zu sehen, zu hören, zu fühlen" hat mal irgendjemand gesagt - ich wollte, ich wüßte jetzt, wer. Irgendwer jedenfalls, der wußte, wovon er redet. 




Ich habe das recht weit geschriebene erste Kapitel beiseite gelegt und mit einer ganz anderen Geschichte begonnen. Der erste Versuch schien mir auf einmal viel zu banal. Wer sollte sich für so eine Geschichte interessieren? Der zweite Wurf schien mir dann mit einem Male viel zu reißerisch.

Da Sie in der IT-Branche tätig waren, erkennen Sie doch sicher, was das hier ist: 


100 Erstes Kapitel schreiben

110 Unzufrieden sein

120 Beiseitelegen

130 Was neues anfangen

140 GOTO 100

Eine Endlosschleife, richtig? Ich habe ein gutes Jahrzehnt in einer solchen Schleife zugebracht, und es hat mich keinen Meter weitergebracht. SIE WERDEN NICHT BEIM ERSTEN MAL EIN MEISTERWERK SCHREIBEN. Punkt. Da können Sie sich anstrengen, wie Sie wollen. Also finden Sie sich damit ab, daß der erste Roman wahrscheinlich Scheiße wird. ABER SCHREIBEN SIE IHN ZU ENDE **TROTZ!!** DIESES GEFÜHLS. Denn nur Dinge, die Sie zu ENDE schreiben, bringen Sie weiter; helfen Ihnen, sich schriftstellerisch zu entwickeln. 




Angenommen eine Gruppe von Rebellen plant einen Anschlag. Bei diesem Anschlag ist Zeit ein wichtiger Faktor. Den Anschlag können sie nicht durchführen, weil sie während den Vorbereitungen einen Verkehrsunfall erleiden und so zu viel Zeit verlieren. Die Sache muss abgeblasen werden. Wenn dies, was ich jetzt beschrieben habe, eine Schlüsselszene oder ein Wendepunkt in der Geschichte ist und noch viele Folgen haben wird für die Protagonisten, kann ich den Auftritt der Polizei an der Unfallstelle, eine logische Konsequenz des Unfalls, nicht einfach weglassen. Andererseits interessieren mich die Dialoge, die mit der Polizei zu führen sind, als Schriftsteller nicht - sie langweilen mich sogar. Wie kann man z.B. diese Polizei-Szene umgehen, ohne an Glaubwürdigkeit zu verlieren?

Ich verstehe das Problem. Es besteht darin, daß Sie der Ansicht sind, diese Szene - bleiben wir bei Ihrem Beispiel - sei langweilig. 


Natürlich hat etwas Langweiliges in einem Roman nichts verloren. Wenn es aber essentiell zur Handlung gehört, KANN es nicht langweilig sein. 


Ich stelle mir das vor. Diese Rebellen sind auf dem Weg zu einem Anschlag - da fährt ihnen, sagen wir, ein Bus in die Seite. Krach, peng, Mordgetöse, Geschrei, auslaufende Flüssigkeiten, lädierte Schädel. 
Die Rebellen krabbeln benommen aus dem Auto, besehen sich den Schaden. "Scheiße, das wird nichts mehr! Wir kommen zu spät", sagen sie sich. Und da - kommt auch noch die Polizei! 


Kann das langweilig sein? Wie würden Sie sich fühlen, wenn Sie mit Ihrem bis zum Rand mit Waffen vollgeladenen, aber leider völlig lädierten Wagen da stehen und POLIZEI kommt!?!? Sie würden Blut und Wasser schwitzen, oder? Und zugleich müßten Sie Ruhe bewahren, cool tun, alles herunterspielen und so unauffällig wirken, daß niemand auf die Idee kommt, Ihren Wagen näher in Augenschein zu nehmen! 
Doch einer Ihrer Mitverschwörer, der junge XY, der zeigt leider Nerven. Nichts gewohnt der Junge, Sie haben es schon immer geahnt... und jetzt bemerken Sie das Zittern seiner Wangenknochen, das immer seine cholerischen Anfälle ankündigt... Scheiße, das kann in die Hose gehen! Was jetzt? 


Ist das langweilig? Wenn ja: Was ist dann spannend? 




Bei Unterhaltungsliteratur gibt man sich oft gar nicht die Mühe, etwas Vernünftiges zu produzieren. Da werden Bücher veröffentlicht (von fast allen Verlagen und in allen Genres), deren Geschichten so lieblos dahingeschmiert oder konstruiert scheinen, so voller falscher Bilder und sonstiger Fehler sind, dass man sich als Leser brüskiert fühlt. Ist der Grund dafür darin zu suchen, dass die Unterhaltungsliteratur zwar als Geldbringer geschätzt wird, aber ansonsten eben nicht?

Eine ganze Menge Produkte werden nur als Geldbringer betrachtet und lieblos hingepfuscht. Das entscheidende Wort ist "lieblos" in dem Zusammenhang. 


Abgesehen davon wird überall viel geschludert und geschlampt, nicht nur von Autoren und Lektoren. Ich habe vor unserem Umzug einen Haufen Geld für einen Nachsendeantrag bezahlt und erhielt dann massenhaft Emails von Leuten, die mir Briefe an die alte Adresse geschickt und sie mit "Empfänger unbekannt verzogen" zurückerhalten haben. Um nur ein Beispiel zu nennen. 




Im Autorenjahrbuch 2000/2001 schrieb Martin Walser einen hochinteressanten Text über den ersten Satz - den Einstieg in Geschichte und Stil. Dieser Satz ist die erste Begegnung zwischen Leser und Autor. Und das macht die Sache so immens schwer, schließlich wollen wir auf den anderen einen besonders guten ersten Eindruck machen. Das ist wie bei einer besonders wichtigen Verabredung .

Das sehe ich etwas relaxter. Ob ein erster Satz wirklich gut ist, weiß man erst, wenn man beim letzten angelangt ist. Es gibt Romane, die toll anfangen und dann verebben; es gibt auch Romane, die blöd anfangen, aber trotzdem noch toll werden. Der erste Satz der BILLION ist nichts Besonderes; er wird es erst dadurch, daß der letzte Satz fast derselbe ist. 


Man darf bei solchen Aufsätzen nicht übersehen, daß diese alten Literaten immer bemüht sind, ihr Geschäft als mordsschwierig darzustellen, so, als schrieben sie mit ihrem eigenen Blut oder so. Bei aller gesellschaftskritischen Attitüde sind Leute wie Walser, Grass, Handke usw., wenn man genau hinschaut, auch geniale Selbstdarsteller und Selbstvermarkter. 




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