Wie man einen Text zu Ende schreibt



Wenn ich mir per Zeitmaschine einen einzigen Ratschlag in meine frühen Jahre schicken könnte, dann wäre es dieser: Brich Manuskripte nicht mittendrin ab, um andere anzufangen. Egal, wie schlecht es dir im Moment vorkommt – schreib es fertig!


In den letzten Jahren war ich immer gut ausgelastet. Ich habe zwei Kinder, vor zwei Jahren mit dem Hausbau begonnen. Seit August leben wir dort, aber es ist noch lange nicht alles fertig. D.h. ich hatte nicht soviel Zeit um mich nebenher der Schriftstellerei zu widmen.

Bitte, bitte glauben Sie nicht, daß Schriftstellerei irgendetwas mit der Zeit zu tun hat, die einem zur Verfügung steht. Es gibt viele Dinge, die einen daran hindern zu schreiben, aber es ist
niemals fehlende Zeit. 


John Grisham war, ehe er der Bestsellerautor wurde, der er heute ist, Anwalt. Amerikanische Anwälte arbeiten bekanntlich mehr oder weniger rund um die Uhr, das ist nicht nur ein Mythos. Grisham erwähnte einmal, daß er herausfand, daß er, wenn er eine halbe Stunde früher ins Büro kam - um 5 Uhr anstatt um 5 Uhr 30 - er im Lauf des Tages hier und da kleine Zeitfragmente herausschlagen konnte. Sein Ziel war, jeden Tag mindestens eine Seite zu schreiben. Auf diese Weise brauchte er drei Jahre, bis er seinen ersten Roman, "A Time To Kill", fertig hatte.


Aber Sie sehen die Arithmetik. Schreiben Sie nur 1 Seite pro Tag, und Sie haben am Ende des Jahres 365 Seiten. Lassen Sie die Hälfte davon so schlecht sein, daß Sie sie wegwerfen müssen, und Sie haben nach 2 Jahren einen dicken Roman fertig. Sie sind jetzt 35 - wenn Sie so weitermachen bis zur Rente, dann können Sie auf diese Weise bis dahin 15 (in Worten: fünfzehn!!) Romane schreiben. Und damit wären Sie zwar kein Konsalik oder Hohlbein, aber immer noch ein überdurchschnittlich(!!) produktiver Autor!


Und die Zeit, 1 Seite pro Tag (wir reden von 30 Zeilen Text!!) zu schreiben, kann jeder erübrigen. Hören Sie auf, Zeitung zu lesen (die überflüssigste Lektüre, die es gibt). Schauen Sie weniger fern. Stehen Sie eine halbe Stunde eher auf. Machen Sie auf der Heimfahrt einen Zwischenstop in der Stadtbücherei. Schreiben Sie in der U-Bahn. Irgendwas geht immer.


Es ist nicht eine Frage der Zeit, das will ich damit sagen. Schreiben ist immer nur eine Frage der Motivation. Deshalb die Frage, was man tun würde, wenn man noch 6 Monate zu leben hätte. Die klärt die Motivation wunderbar. Ich habe einen Film gesehen über eine krebskranke Frau, die sich vor ihrem Tod noch den Wunsch erfüllte, im Einhandsegler den Atlantik zu überqueren. Mir würde das nicht einfallen, aber Menschen sind eben unterschiedlich.


Wichtig ist, das, worauf es einem im Leben wirklich ankommt, zu erkennen, und es zu tun. Denn irgendwann kommt für jeden der Tag, von dem an er nur noch sechs Monate zu leben hat - aber nicht jeder erfährt davon! 




Dummerweise wechsle ich zu schnell zwischen den einzelnen laufenden Projekten, weil die Ideen zu schnell kommen. So ist mein 'Stories'-Ordner angefüllt mit unfertigen Anfängen.

So ging es mir früher auch. Und man bewegt sich wirklich nur voran mit den Sachen, die man fertig macht, egal wie sie werden. Ich mußte auch erst lernen, die Ideen, die sonst noch kommen, zwar zu begrüßen und willkommen zu heißen - das muß man schon -, ihnen aber dann klar und deutlich verstehen zu geben, daß sie sich bitteschön gedulden müssen, weil grad jemand anders dran ist, und so lange (was sind schon ein paar Jahre?) bitte im Notizbuch Platz nehmen sollen. 





Ich hoffe auf einen Tipp Ihrerseits, wie ich meine kreativen Tintenfischarme in den "Griff bekomme".

Psychologisch gesprochen ist das Hüpfen von angefangener Sache zu angefangener Sache eine Vermeidungsstrategie. Man merkt unterschwellig, daß das, was man zustandebringt, nicht so gut wird, wie man es gerne hätte, und wenn dann eine neue, andere Idee daherkommt, frisch und vielversprechend und noch nicht von dem Makel ungenügender Umsetzung befleckt, dann ist man nur allzu leicht bereit, das Mißlungene im Stich zu lassen und es mit der neuen Idee zu probieren. Vielleicht bringt's die ja. 


Aber sie bringt es natürlich nicht, vielmehr mißlingt es einem wieder. Die Kunst des Schriftstellers ist es ja eben, daß er imstande ist, eine Idee angemessen umzusetzen. Und das muß man lernen. Und man lernt es nicht, indem man immer wieder frisch anfängt. Man lernt es nur, indem man eine Sache zu Ende führt, und sie sich danach ernsthaft anschaut in dem Bemühen, was man besser hätte machen können. 
Ich will mal ein Beispiel konstruieren. Nehmen wir an, jemand sei relativ untrainiert, hat sich aber in den Kopf gesetzt, zu wandern. Ihm kommt in den Sinn, nach A-Dorf zu wandern. Frohgemut macht er sich auf den Weg, wird aber bald müde. Nun ist ihm nicht klar, daß er einfach ungeübt ist, vielmehr kommt er auf die Idee, sich zu sagen: "Ah, das mit A-Dorf war keine gute Idee, ich sollte vielleicht lieber nach B-Stadt wandern." Er fährt mit dem Bus zurück und bricht am nächsten Tag auf nach B-Stadt - wird aber natürlich wieder genauso rasch erschöpft sein, weil er sich ja nie die Chance gibt, ein wenig über seine Grenzen zu gehen, so daß ein Trainingseffekt entstehen würde! 


Es führt kein Weg daran vorbei, sich den ganzen furchtbaren Dämonen zu stellen - dem "ich-glaub-ich-kann-überhaupt-nicht-schreiben"-Dämon, dem "ich-schreibe-einen-Mist-zusammen"-Dämon, und dann noch den Dämonen der Geschichte selber: kann man eine Geschichte über eine tragische Liebe schreiben, ohne sich der schmerzhaften Erinnerung an die eigenen tragischen Lieben auszusetzen? Nein. Da muß man immer noch mal durch. 


Und was macht man nun mit den ganzen guten, frischen, verlockenden Ideen, die einen umschwirren, solange man an dem aktuellen Projekt arbeitet? Nun, man fängt sie ein und steckt sie erst mal in das große bunte Ideennotizbuch. In dem man später, wenn das aktuelle Manuskript fertig ist, wieder blättert, bis einen eine Idee daraus anspringt, aus der man das nächste Buch macht. Denn: Ideen müssen erst mal reifen. Abliegen. Gären. Substanz ansetzen. Wenn einem um 8 Uhr morgens eine Idee in den Sinn kommt, kann man sich nicht um 9 Uhr schon hinsetzen und einen tollen Text daraus machen. Man muß mit der Idee erst eine Weile schwanger gehen. Meine Romanideen sind alle mindestens 5 Jahre alt, ehe ich mich daran mache, wirklich einen Roman daraus zu machen. Selbst für Kurzgeschichten brauche ich ein paar Wochen Reifezeit. 
In dieser Reifezeit entpuppen sich viele Ideen auch als Quatsch, anbei bemerkt. Die Zeit bringt es an den Tag. Und es wäre doch Blödsinn, sich dann allzuviel damit abgegeben zu haben, oder? 




Es macht mir Spaß zu schreiben und mich mit Texten zu beschäftigen, mir Geschichten auszudenken und so weiter, ich habe auch schon einige Story-Experimente gewagt, Ideen gewälzt, es dann aber meistens bei einer Gliederung belassen, nur wenige sind zu einem "richtigen" mehr schlechten als rechten Text herangereift - aber das ist nicht der Punkt, da muss ich mich noch selber überwinden und einfach mehr schreiben.

Ich muß Ihnen dazu was sagen, was Sie vielleicht verstimmen wird: das klingt noch nicht so rasend überzeugend. Das klingt noch nicht nach ARBEIT. Das Leben eines Schriftstellers besteht aber zum größten Teil aus ziemlich anstrengender Arbeit, die in einsamer Zurückgezogenheit verrichtet wird. Es ist allerdings, wie ich gern zugebe, eine überaus befriedigende Arbeit. Nicht immer besser als Sex - aber manchmal. 


Wenn ich in Ihrer Situation wäre, würde ich mir folgendes raten:

  • Was Sie brauchen, ist ein Roman von 300-400 Seiten Länge (das sind 500.000 bis 600.000 Anschläge), unter dem das Wort "ENDE" steht. Ein komplettes Werk, das man jemandem vorlegen kann. Ohne so etwas nützen einem alle Ideen und Talente nichts. Also: schreiben Sie es.
  • Es ist völlig überflüssig und eher hinderlich, hierfür ein Jahr auszusetzen. Ergreifen Sie ein Studium oder beginnen Sie eine andere Ausbildung, die Ihren sonstigen Neigungen entspricht, führen Sie ein normales Leben und schreiben Sie nebenher. Führen Sie Buch über Ihr Schreiben (heutzutage ja kein Problem mit den Wortzählungsfunktionen der Textverarbeitungen) und streben Sie einen Schnitt von 1800 Anschlägen pro Tag an. Lesen Sie keine Zeitung mehr und sehen Sie weniger fern, dann bleibt hierfür genug Zeit.
  • Wenn Sie den Roman geschrieben haben, lassen Sie ihn eine Weile liegen; beginnen Sie einen neuen und nehmen Sie den ersten nach drei Monaten wieder zur Hand. Bilden Sie sich ein Urteil, wie gut er ist und ob Sie ihn schon in die Welt hinausschicken möchten. Wenn ja, lassen Sie ihn von Freunden usw. lesen. Wenn Sie (!) dann immer noch das Gefühl haben, er ist gut genug, schicken Sie ihn an Verlage, Agenten usw. - aber schreiben Sie in der Zeit schon am nächsten, das hilft einem die unvermeidlichen Ablehnungsbriefe zu verkraften.
  • Lassen Sie sich nicht entmutigen. Verlage SUCHEN gute Autoren. Bemühen Sie sich, einer zu werden. Auch wenn einem alle Leute das Gegenteil sagen, die Aussichten, veröffentlicht zu werden, waren selten besser als heute.




Sie haben mir geraten, ein Werk von 400 Seiten Länge zu schaffen, das ich jemandem vorlegen kann. Aber ich fühle mich nicht dazu in der Lage, das durchzuhalten. Ich habe schon öfters versucht, einen Roman zu schreiben; habe ein Stufendiagramm geschrieben, bis es meinen Ansprüchen genügte, die Figuren ausgearbeitet, und als ich dann anfing zu schreiben, verlor ich nach zwei, drei Tagen die Lust und die Motivation. Es war nicht einmal schlecht, was ich geschrieben hatte, aber ich kam zu dem Schluß, dass es besser wäre, eine veröffentlichte Kurzgeschichte, oder auch zwei oder drei oder vier, zu haben, zur Selbstbestätigung. Dann kann ich sagen: "Jawohl, ich habe das geschafft - jetzt schaffe ich auch einen Roman." Auch, weil mein Umfeld dann (hoffentlich) akzeptiert, was ich da mache. Können Sie das nachvollziehen?

Ja, kann ich nachvollziehen. Und das ist tatsächlich richtig: das Wichtigste, was man braucht, um einen Roman zu Ende zu bringen, ist die Zuversicht, daß man es schaffen wird, daß es nur eine Frage der Zeit ist. Was immer einem dabei hilft, her damit! 


Ein anderer Kniff, den Sie versuchen können, ist folgender: Stöbern Sie mal in den schlechten Büchern. Versuchen Sie, einen Roman zu finden, von dem Sie mit ehrlicher Überzeugung sagen können, "ich kann etwas schreiben, das besser ist als DAS DA". Stellen Sie sich diesen Roman an prominente Stelle neben den Computer, schauen Sie ihn sich jeden Tag an und sagen Sie sich: dieses Machwerk ist veröffentlicht worden. Also wird das, was ich schreibe, eines Tages erst recht veröffentlicht werden. 


(Die Frage, "bin ich ein guter Schriftsteller?", ist schwer zu beantworten, eigentlich gar nicht. Aber die Frage, "ist das ein gutes Buch?", die kann man beantworten. Und genau genommen, ist es wurschtegal, ob man ein guter Schriftsteller ist - das einzige was zählt ist, ob man gute Bücher schreibt. Einverstanden?) 


Versuchen Sie es aber trotzdem mal andersherum anzugehen. Sie planen viel, um bereit zu werden fürs Schreiben. Versuchen Sie stattdessen zu schreiben, bis Sie bereit sind fürs Planen. - Was ich damit meine, ist: wenn man einfach drauflosschreibt, ohne sich groß zu überlegen, wohin man will, gerät man irgendwann ins Stocken. Man stellt fest, daß man nicht weiß, wie es weitergehen soll, oder daß man sich in Widersprüche verheddert hat usw. Dann ist immer noch Zeit, sich hinzusetzen und das alles auszuklamüsern: immerhin ist man schon unterwegs. Es ist wie beim Wandern: statt vorher zu planen und zu planen, bis das gute Wetter vorüber ist, und niemals loszulaufen, lieber losgehen und unterwegs die Karte studieren. 


Klar, das ist unter Umständen nicht sehr ökonomisch. Aber wenn Sie dabeibleiben, dann werden Sie das in 10 Jahren nicht mehr so machen. Aber im Moment geht es vor allem darum, daß Sie die Worte -ENDE- unter ein mehrhundertseitiges Werk schaffen. Wenn Sie das das erste Mal geschafft haben, glauben Sie mir, ab dann ist alles anders. 




Vor etwa zwei Monaten habe ich mein erstes Buch fertiggestellt, an dem ich zwei Jahre lang geschrieben habe. Zu meiner eigenen Überraschung löste dieser langersehnte Moment nicht etwa das vollkommene Glücksgefühl in mir aus, wie ich es eigentlich erwartet hatte - ich fühlte eher eine innere Leere und ein Gefühl der Trauer. Ich habe solche Angst, dass mir nichts mehr einfallen wird, dass ich wie erstarrt bin und - natürlich - keinen einzigen kreativen Gedanken fassen kann. Kennen Sie dieses Gefühl?

Das ist ein allgemein wenig bekanntes, aber sehr häufiges Erlebnis. Viele weibliche Autoren vergleichen es mit der Wochenbettdepression, also den gefühlsmäßigen Umstellungen nach dem Ende einer Schwangerschaft, und ich vermute mal, daß dieser Vergleich es ziemlich trifft. 


Nathalie Goldberg widmet in ihrem Buch "Writing Down The Bones" diesem Phänomen ein eigenes Kapitel und sagt unter anderem auch - was ich aus eigener Erfahrung bestätigen kann -, daß man als Autor oftmals, wenn sich die Arbeit an einem Buch ihrem Ende nähert, dieses Ende hinauszuzögern sucht eben aus Angst vor dem "Loch" danach. 
Ich kenne dieses Gefühl auch. Und auch wenn es beunruhigend ist, ist sein Auftreten kein Grund zur Sorge - es zeigt nur, daß Sie bei der Arbeit an dem Buch, das Sie beendet haben, emotional voll engagiert waren und sich nun erst davon lösen müssen. Und das braucht nun einmal Zeit. Genau, wie Trauer Zeit braucht. Sie lösen sich von einer Art geistigem Kind, das nun hinauszieht in die Welt und über dessen Schicksal Sie keine Kontrolle mehr haben werden. Es ist wie das Ende einer Beziehung - der fertige Roman ist nicht mehr dasselbe wie der im Entstehen begriffene, es ist jetzt ein fertiges Werk. Sie brauchen Zeit, um darüber hinwegzukommen. Was immer Sie in der Vergangenheit getan haben, um über Verluste hinwegzukommen, tun Sie es auch jetzt. 


Sie sprachen von einer Höchstlänge für Anfängerromane. Gibt es auch eine Mindestlänge? Wann ist es zu kurz? An Ihre Umfänge komme ich nämlich bei weitem nicht ran, ich erreiche gerade mal die Hälfte.

Also, Marcus Hammerschmitt schreibt auch lauter Sachen, die keine 200 Seiten stark sind, und wird veröffentlicht. Oder nehmen Sie Heftromane: da muß man alles auf 100 Seiten unterbringen. Es hängt also stark davon ab, was man machen will. 


300 Seiten für einen Roman, das ist eine Länge, die sich eingebürgert hat wie die anderthalb Stunden für einen Spielfilm. Im Kino kann man auch mal länger machen, im Fernsehen mit seinen starren Rastern ließe sich das schwerer unterbringen. Kürzere Filme gibt es auch, aber niemand geht ins Kino für einen 50-Minuten-Film. 


Grundsätzlich muß die Geschichte gut erzählt sein, die Sie erzählen wollen - nicht zu ausschweifend, nicht zu knapp, gerade richtig eben. Was "gerade richtig" ist - dafür muß man ein Gefühl entwickeln, das ist ein Teil des Schreibens. (Im allgemeinen entwickelt man dieses Gefühl durch LESEN.) Es gibt Geschichten, die sich auf 1000 Seiten ausbreiten, ohne langweilig zu werden - für andere sind selbst 150 Seiten zuviel. 


Was Sie tun müssen, ist, andere Bücher zum Vergleich zu nehmen. "Mein Roman wird ungefähr so etwas wie..." - der Vergleich kann sehr weit hergeholt sein, es geht ja nur um den Umfang. 


Ich denke manchmal, es ist besser, im Zweifelsfall zu dünn als zu dick zu sein. Freilich, rausstreichen ist einfacher als einfügen, aber heutzutage fühlen sich viele Leute von dicken Büchern abgeschreckt. 





Wie lange brauchen Sie, von der Idee bis zum fertigen Entwurf, bis Sie eine Kurzgeschichte geschrieben haben?

Das ist SEHR variabel. Manchmal brauche ich nur einen Tag, manchmal ein paar Jahre (ich verfolge Kurzgeschichtenprojekte auch nicht mit der gleichen Intensität wie Romanprojekte). An "Eine Trillion Euro" habe ich ca. anderthalb Jahre herumüberlegt, und sie dann im Verlauf des Oktober und November 2003 niedergeschrieben, bei einer reinen Schreibzeit von ca. 20 Stunden. 




Ich bin 15 und sozusagen, eine Kollegin. *lächel* Seit ungefähr vier oder fünf Jahren schreibe ich. Zwei Romane habe ich abgeschlossen, aber seitdem kein einziges Buch mehr. Hunderte Manuskripte habe ich schon angefangen, bin bis zur Hälfte gekommen und habe dann wieder an etwas anderem gearbeitet oder den Entwurf einfach gelöscht. Obwohl ich genau weiss, dass mir das Schreiben im Blut liegt und ich nichts lieber tun würde als tagein, tagaus zu texten, habe ich keine Durchhaltevermögen. Ich weiss nicht wie ich es fertigbringen soll, endlich etwas zu beenden. Es ist als würde ich nach der perfekten Idee für ein Manuskript suchen und mich mit jedem Versuch mehr davon entfernen. Haben sie vielleicht einen Rat für mich? Wie schaffen sie es, ein Buch zu beenden ohne mittendrin aufzugeben?

Ich weiß genau, wie Dir zumute ist, denn als ich so alt war wie Du ging es mir ganz ähnlich. Zuerst habe ich meine Geschichten ganz unbefangen hingeschrieben, wie sie mir in den Sinn kamen. Doch irgendwann packte mich der Ehrgeiz, etwas WIRKLICH GUTES zu schreiben, etwas, das SO GUT sein sollte, daß ein Verlag es VERÖFFENTLICHEN würde. 


Und Peng! Auf einmal brachte ich keinen Roman mehr zu Ende. Erst gab ich auf Seite 67 auf, um einen neuen anzufangen; den brachte ich nur bis Seite 32, und beim nächsten kapitulierte ich schon auf Seite 6. Es war zum Verzweifeln! 


Mir ging es so, daß ich dann viele Jahre nichts oder nicht viel geschrieben habe. Das ist aber keine Lösung; genau genommen habe ich nur Zeit verschwendet auf diese Weise. 
Was also tun? Im Grunde gibst Du Dir die Antwort schon selber: 


Es ist als würde ich nach der perfekten Idee für ein Manuskript suchen und mich mit jedem Versuch mehr davon entfernen. 


Genau. Das ist es. Das "perfekte Manuskript". Das ist der Haken im Hirn. Das große Geheimnis ist nämlich, daß es sowas nicht gibt. Kein Manuskript ist jemals perfekt. Du würdest staunen, wie meine Manuskripte vom Lektor zurückkommen! Ich könnte die Seiten über dem Waschbecken ausdrücken, wahrscheinlich würde rote Tinte heraustropfen. Natürlich denke ich jedesmal, wenn ich ein Manuskript abschicke, "diesmal ist es aber praktisch vollkommen" - und jedesmal irre ich mich. Das Schlimmste ist: Ich merke es selber, wenn ich die Anmerkungen des Lektors lese - meistens hat er recht! Also überarbeite ich alles noch einmal, und dann vielleicht noch einmal. Und wenn das Buch gedruckt vor mir liegt, würde ich am liebsten auch noch jede Menge Sätze umschreiben... Aber das geht dann eben nicht mehr. 


Und ich weiß von anderen Autoren, daß es ihnen nicht anders geht. 


Man muß kein perfektes Manuskript herstellen - es reicht, wenn es so gut ist, wie man es eben hinbekommt. Wenn man die Sache leicht nimmt und einfach irgendwas reinhackt, das ist natürlich nicht in Ordnung, aber so macht es ohnehin keinen Spaß. Nein, man muß schon alles geben, feilen und überlegen und sich die Sätze auf der Zunge zergehen lassen, bis man zufrieden ist mit jeder Seite. Wenn man das macht, wird jedes Buch ein kleines bißchen besser als die Bücher davor, und eines Tages wird eines gut genug sein, um einen Verlag und Leser zu finden. 


ABER - dazu MUSS man die Bücher fertigschreiben! Unvollendete Romane zählen nicht. Romane, die man anfängt, aber nicht beendet, sind Zeitverschwendung. Romane, die man vollendet, die aber schlecht geraten sind, sind gelungene Trainingseinheiten und bringen Dich weiter. 


Womit wir beim Problem sind: WIE MACHT MAN DAS - das Buch beenden? 


Nun, ein Buch fertigzuschreiben hast Du schon zweimal geschafft, wie ich lese. Also KANNST Du es. Du setzt Dich momentan nur unnötig unter Druck, es auf Anhieb VOLLKOMMEN zu machen - etwas, was noch nie jemand geschafft hat. Du hast also die Wahl: Entweder weiter etwas Unmögliches versuchen - was Dich nicht weiterbringen wird -, oder Dich damit abzufinden, so gut zu sein, wie Du eben gerade bist - und dadurch auf lange Sicht allmählich BESSER zu werden. (Tipp: Ich würde die zweite Möglichkeit wählen.) 


Wie schaffe ich es, ein Buch zu beenden? Heute kann ich es kaum glauben, aber das war tatsächlich mal ein Riesenproblem für mich. Als ich mich nach zehn Jahren Pause das erste Mal wieder an einen Roman machte, war mein einziges großes Bangen: Werde ich es bis zum Ende schaffen? 


Ich habe einen Trick angewandt. Wenn Du mal meinen ersten veröffentlichten Roman "Die Haarteppichknüpfer" in die Hand bekommen solltest, kannst Du Dir den Trick ansehen: Er besteht aus lauter einzelnen kurzen Geschichten, die sich insgesamt als Roman lesen lassen. Ich sagte mir: "Ich schreibe einfach eine Kurzgeschichte, das kann ich, das weiß ich. Und dann schreibe ich noch eine. Und noch eine. Auf diese Weise stellt sich die Frage nach dem Ende gar nicht. Ich schreibe einfach eine Reihe von Kurzgeschichten, die alle miteinander zusammenhängen." 


Das hat funktioniert. Und dabei habe ich bemerkt, daß der Trick gar nicht nötig gewesen wäre. Ich hätte genauso gut auch einfach jedes Kapitel eines normalen Romans als Geschichte für sich betrachten können - ja, im Grunde ist es das, was ich heute mache: Ich habe nie den ganzen Roman im Kopf, sondern konzentriere mich immer nur auf das Kapitel, an dem ich gerade bin. 


Praktisch sieht das so aus, daß ich einerseits eine Liste der Kapitel habe, mit Stichworten, was darin passieren soll. Und daneben habe ich einen Kalender, in dem jedes Kapitel seinen Platz hat. Sagen wir, ich plane einen Roman mit dreißig Kapiteln, und ich will die erste Fassung fertig haben bis in vier Monaten. Das sind 120 Tage, also habe ich für jedes Kapitel 4 Tage Zeit. In irgendeiner Woche habe ich dann z.B. Kapitel 17 vor mir und will es fertig haben bis Freitag. Dann konzentriere ich mich nur darauf: Kapitel 17 bis Freitag. Alles andere ist Nebensache. Und wenn es fertig ist, kommt das nächste. Kapitel 18 bis Dienstag - aber daran denke ich jetzt nicht. Dazu steht es im Kalender: Damit ich nicht daran denken muß. (Manchmal verschieben sich die Einträge natürlich; wenn ein Kapitel zu schreiben mal schneller oder langsamer geht. Am Ende sieht der Kalender deswegen fürchterlich verkritzelt aus.) 


Und, Du bemerkst: Ich sage "erste Fassung". Nicht "vollkommenes Manuskript". Das erste Ziel ist, einfach mal alles geschrieben zu haben. Diejenige Seite in mir, die herumkritisiert, darf so lange Urlaub machen und Kräfte tanken, denn dann, wenn mal alles ausgedruckt daliegt, dann muß sie ran und jeden einzelnen Satz noch mal genau unter die Lupe nehmen. Aber, wie gesagt, später. Jetzt gibt es nur Kapitel 17, erste Fassung. 
So mache ich das. Und ich wette, Du schaffst das auch! 




Ich bin in einer verzweifelten Lage: Es gibt Augenblicke, da fällt mir plötzlich etwas neues ein, ein Grundthema zu einer längeren Geschichte zum Beispiel. So, und jetzt geht es an das Planen. Aber kaum habe ich etwas skizziert, merke ich, dass sich die Geschichte im Kreis dreht und mir und dem Leser nichts zu sagen hat. Kurz: Sie ist einfach nur langweilig. Dann verwerfe ich das Thema wieder und es dauert nicht lange (wenn es nicht sogar schon passiert ist) und ich habe eine neue Idee, an deren Planung ich mich mache. Wieder zu uninteressant, also weg damit... So geht das nun schon eine ganze Zeit, zum Schreiben selbst bin ich noch nie gekommen. Ich glaube es scheitert vornehmlich an meinen sehr vorhersehbaren Handlungssträngen, denen die Nebenhandlungen fehlen. Vielleicht bin ich auch nicht kreativ genug.

Nein, da glauben Sie etwas Falsches. Es scheitert daran, daß Sie NICHT SCHREIBEN. Planen ist manchmal eine Verzögerungstaktik, um nicht handeln zu müssen, und so, wie Sie es beschreiben, ganz bestimmt. Wenn Sie vor einem Schwimmbecken stehen und darauf beharren, erst jede einzelne Bewegung, die Sie nachher machen werden, vorauszuplanen, werden Sie nie auf der anderen Seite ankommen. Was Sie tun müssen, ist, hineinzuspringen. Irgendwie hindurchzuschwimmen und nachher Rückschau zu halten, was Sie gut und was Sie nicht gut gemacht haben. Und dann nochmal hindurchzuschwimmen und nochmal und nochmal... 
Kurzum: Ehe Sie einen guten Roman schreiben werden, müssen Sie erst mal einige nicht so gut (sagen wir ruhig: schlechte) schreiben. Und: Es zählen nur FERTIGgestellte. Ein schlechter Roman, unter dem ENDE steht, bringt Sie weiter. Ein Roman, an dem Sie nur planen, nicht. 


Vielleicht macht Ihnen das Schreiben auch nicht wirklich Spaß? Ich habe schon viele Leute getroffen, denen irgendjemand eingeredet zu haben schien, man müsse den traditionellen Lebens-Dreikampf ("Haus bauen, Baum pflanzen, Kind zeugen") durch die vierte Disziplin "Buch schreiben" ergänzen, um, was weiß ich, einst Aufnahme im Himmel zu finden oder sowas. Ist natürlich alles Blödsinn; nichts davon MUSS man wirklich. Und schon gar nicht "Buch schreiben". Ich habe das Gefühl, daß Sie sich zuvörderst einmal darüber klar werden sollten, wozu Sie eigentlich schreiben wollen. 




Schreiben macht mir, in jeder Form, viel Spaß, aber ein sehr großes Problem sind meine Selbstzweifel. Da sind es insbesondere die Zweifel an der Originalität meiner Ideen... Ich gehe immer strukturiert vor, arbeite eine Idee aus, bin auch überzeugt vom Konzept. Dann, bei Seite 40 etwa, denke ich: "Wieso schreibst du das....genau DARÜBER hat doch XY bereits geschrieben.....ein absolut ausgelutschtes Thema....grauenvoll......."

Kenne ich gut; so ging es mir ungefähr ab dem Alter von 17 bis zum Alter von 29. 


Da hätte ich es gebraucht, daß mir jemand folgendes sagt: "Es stimmt zwar, daß man mit dem Schreiben immer besser wird - ABER ES ZÄHLEN NUR FERTIGGESTELLTE TEXTE! Ein guter Anfang ist Zeitverschwendung. Ein guter Anfang und ein guter Mittelteil ist große Zeitverschwendung. Ein schlechter, aber zu Ende geschriebener Roman dagegen ist ein Schritt vorwärts. Der nächste KANN nur besser werden; das kann man gar nicht verhindern." 


Und: "Die erste Fassung ist immer Scheiße. Doch niemand veröffentlicht die erste Fassung. Was zählt, ist das Ergebnis der Überarbeitung." 


So, all das habe ich nun Ihnen gesagt, da Sie es offenbar auch brauchten. ;-) 


Also, schreiben Sie die Sachen fertig. Wie, spielt keine Rolle. Auch wenn Sie das Gefühl haben, den größten Mist der Literaturgeschichte zu verzapfen, schreiben Sie ihn fertig. Zwingen Sie sich dazu. Wetten Sie mit jemandem, um einen Betrag, der richtig wehtut. Verpflichten Sie sich zu 1 Jahr freiwillig Abwasch machen, wenn Sie den Roman abbrechen. Schwitzen Sie beim Schreiben, bluten Sie meinetwegen - aber schreiben Sie das Ding bis zum Ende. Das erste Mal kann schrecklich sein, zugegeben, aber da müssen Sie durch. Irgendwann lachen Sie nur noch drüber. 




Ich bin 16 und habe schon so viele Bücher begonnen zu schreiben, habe immer so gute Ideen und Vorstellungen. Dann komme ich auf Seite 10 oder so und finde keine Zeit mehr.

Das mag Dir so vorkommen, ist aber eine Täuschung. Eine Selbsttäuschung, um genau zu sein. Tatsächlich haben wir nämlich alle genau gleich viel Zeit, jeder, auf die Sekunde: 24 Stunden jeden Tag. Wir verwenden sie nur unterschiedlich. Und wenn jemand sagt, "ich habe keine Zeit" - dann meint er in WIRKLICHKEIT: "etwas anderes ist mir wichtiger." 


Denk also nicht über Zeit nach - so viel Zeit wie als Schüler hat man nie mehr im Leben, anbei bemerkt -, sondern denke darüber nach, was Dir WICHTIG ist. Wenn man etwas wirklich will, findet man auch die Zeit dafür. 




Vor einigen Jahren hatte ich eine grandiose Idee. Oder besser gesagt war es gar keine Idee, sondern ich schrieb wie in Trance, die ersten 20 Seiten flossen mir nur so aus den Fingern. Es war, als würde jemand in mein Ohr flüstern und mir die Story diktieren. Ich kann mich nicht erinnern, über das nachgedacht zu haben, was ich eigentlich schreibe. Sie werden wissen was jetzt kommt: richtig! Jetzt schreiben wir 2003 und ich bin immer noch nicht weiter. Mittlerweile ist die Story von 20 auf 30 Seiten angewachsen, aber es "fliest" nicht mehr so richtig und es wäre eine richtige Anstrengung, weiter daran zu schreiben. Das Problem ist nur: in meinem Kopf ist die Geschichte bereits fertig. Die ganze Handlung, die verschiedenen Szenen, Dialoge...alles schon da. Nur bringe ich es nicht fertig, dies auch niederzuschreiben. Denn das wäre Arbeit und kein Vergnügen mehr. Was würden Sie mir in dieser Situation raten?

Was bringt Sie auf die Idee, das Schreiben eines Romans sei keine Arbeit, sondern nur Vergnügen? Dem ist nicht so, und wenn Sie darauf warten, daß es so wird, dann werden Sie Ihren Roman nie schreiben. Man kann allenfalls so weit kommen, daß die Abgrenzungen zwischen Arbeit und Vergnügen beim Schreiben schwinden, aber bis dahin ist es ein steiniger Weg und viel Arbeit. 


Immerhin: Sie hatten die Erfahrung, daß einem manche Passagen wie von selbst in die Tasten fließen. Manche haben nicht einmal das. Bei Ihnen war es der Anfang; das ist verhängnisvoll, weil es Sie zu der Vorstellung verführt, es müsse immer so sein. Aber das war nur der Honeymoon, jetzt kommt der Alltag, und der hat eben nicht nur Höhen, sondern auch Tiefen. 


Und was ich Ihnen raten würde? Das können Sie sich sicher denken: Schreiben Sie ihn fertig! Wenn Sie sich dazu anstrengen müssen, dann strengen Sie sich an. Wenn Sie sich dazu zwingen müssen, zwingen Sie sich. Und wenn Sie sich dazu quälen müssen, dann quälen Sie sich. Machen Sie notfalls Deals mit Familienmitgliedern ("wenn ich nicht mindestens 5 Seiten pro Woche schreibe, mache ich freiwillig den Abwasch in der Woche darauf" oder sowas), nehmen Sie sich einen machbaren Zeitplan vor (maximal 1 Seite pro Tag), aber schreiben Sie das verdammte Ding, bis Sie "Ende" darunterschreiben können. 


Übrigens glaube ich nicht, daß es so eine Schinderei wird, wenn Sie schon alles im Kopf haben. 




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