Ein paar Kniffe für das Überarbeiten von Texten

Nahezu alle Filme, in denen ein Schriftsteller vorkommt, nähren die romantische Vorstellung, dessen Tätigkeit sehe so aus, daß man sich vor ein leeres Blatt oder einen leeren Schirm setzt, geraume Zeit zähneknirschend ins Leere schaut, bis endlich die Muse zuschlägt - und dann tippt man tage- und vor allem nächtelang wie ein Wilder; wie ein nicht endender Strom fließen dann die quasi von einer höheren Macht eingegebenen Worte heraus. Und am Ende zieht man den Text aus der Maschine oder dem Drucker, ruft aus: »Ja, das ist es!«, und tütet alles ein, um es an den Verlag zu schicken.

Der Film, in dem ein Autor über der x-ten Fassung eines Manuskripts sitzt, darin streicht und kritzelt oder gar mal ein Wort im Synonymlexikon nachschlägt, muß, glaube ich, erst noch gedreht werden.

Schreibt man selber und hat man mehr vor, als nur Tagebuch zu schreiben, muß man sich unter allen Umständen von der Idee verabschieden, die erste Fassung könne jemals die endgültige Fassung sein. Selbst Hemingway stellte kategorisch fest: »Die erste Fassung ist immer Scheiße.« Wobei ich was wetten würde, daß seine ersten Fassungen schon besser waren als vieles, was andere in Druck geben. Aber - und darauf kommt es an - die erste Fassung ist nie das Beste, was man erreichen kann. Einen Gipfel erreicht man nur schrittweise. Die erste Fassung ist der erste Schritt. Danach kommt der weitere Aufstieg, genannt: Überarbeitung.

»Wie um alles in der Welt geht das?« fragt man sich anfangs. Angenommen, man ist durchaus guten Willens, seinen Text zu überarbeiten. Aber nachdem man ein paar Kommata und Schreibfehler korrigiert hat, sitzt man da, starrt die Buchstaben vor sich an, und weiter passiert nichts. Was soll man denn ändern? Der Text sieht gut aus, wie er da steht, sonst hätte man ihn doch anders hingeschrieben. (Oder: Man spürt deutlich, daß der Text nichts taugt, aber man hat das Gefühl, wenn man anfangen würde, ihn aufs Geradewohl zu ändern, gäbe es kein Halten mehr, bis am Ende kein Wort mehr so wäre, wie es ist.)

Was tun? Überarbeiten, ja - aber wie?

Es ist wichtig, sich klarzumachen, daß es beim Überarbeiten um zwei Dinge geht: Erstens darum, im geschriebenen Text Stellen zu erkennen, die schwammig, unklar, ungenau, weitschweifig, irritierend, langweilig oder schlicht überflüssig, jedenfalls aber
schlecht sind. Zweitens - und das wird oft übersehen - geht es darum, im geschriebenen Text Stellen ausfindig zu machen, die gelungen sind. Stellen, die flüssig, lustig, fesselnd, lebendig, spannend, eindrücklich, aufregend, packend, mitreißend oder sonstwie gut geraten sind. Die schlechten Stellen gilt es, ganz klar, zu verbessern - aber die guten Stellen gilt es zu bewahren!

Man kann nämlich einen Text auch zu Tode korrigieren. Obwohl einem die erste Fassung nie auf Anhieb zum Meisterwerk gelingt, passiert es doch - durchaus auch dem Anfänger! -, daß im grauen Wortgeröll hier und da Gold aufblitzt. Sätze, Absätze, ganze Seiten, die toll sind, die man so nie hätte konstruieren können, die einem gelungen sind wie ein spontaner Scherz oder ein Wurf nach dem Papierkorb, der tatsächlich getroffen hat. Textteile, die man schlicht und einfach kaputt macht, wenn man anfängt, nach irgendwelchen kopfigen Regeln drüberzubügeln.

Was hilft einem dabei, die Spreu vom Weizen zu trennen?


Kniff Nummer 1: Zeitlicher Abstand.

Das Prinzip ist ganz einfach: Erst mal ab mit dem Text in die Schublade, und dann raus ins wilde Leben und sich mit was anderem beschäftigen. Nach einiger Zeit das Geschriebene wieder hervorholen und sich erst dann an die Überarbeitung machen.

Wie lange soll man warten? höre ich jetzt von allen Seiten die Frage. Wochen? Monate? Reichen drei Tage?

Doch dafür gibt es keine Regel. Manchmal reichen drei Tage. Manchmal reichen drei Jahre nicht. Worauf es ankommt, ist, daß das ursprüngliche Bild aus dem Kopf verschwunden ist, wenn man seinen Text wieder hervorholt. Man muß sozusagen vergessen haben, was man gemeint hat, um lesen zu können, was man tatsächlich geschrieben hat.

Was man da für Überraschungen erleben kann! Auch angenehme. »Das habe ich geschrieben - wow!« geht einem durchaus nicht selten durch den Kopf. Weitaus häufiger aber liest man leider Sätze, die einen froh sein lassen, daß das verdammte Ding noch nicht in Druck ist und man noch eine Chance hat. Man braucht diesen Abstand, um zu sehen, wo eine Beschreibung nur ungefähr das trifft, was man sagen wollte. Wo man gar vergessen hat, etwas zu erklären, weil es einem selber so völlig klar vor Augen stand: Davon hat aber der Leser nun mal nichts. Der Leser hat nur das, was auf dem Papier steht.


Kniff Nummer 2: Dem Text eine andere Form geben.
Jeder kennt das: Man hat einen Text am Bildschirm wieder und wieder durchgelesen, korrigiert, abgeändert - doch kaum hat man ihn ausgedruckt auf Papier vor sich liegen, fallen einem jede Menge Hämmer auf, die einem auf dem Schirm entgangen sind. Der Ausdruck ist eine andere Form als die Anzeige auf dem Bildschirm, an der man die ganze Zeit gearbeitet hat, und bereits diese leichte Verfremdung hilft oft schon dramatisch, Unstimmigkeiten aufzuspüren.

Sehr beliebt ist auch der Wechsel ins Akustische, sprich, sich den Text laut vorzulesen. Es ist, was die Flüssigkeit von Formulierungen und den allgemeinen Sprachfluß anbelangt, die Wunderwaffe schlechthin. Die Zunge ist ein schärferer Kritiker als das Auge: Was sich flüssig sprechen läßt, liest sich auch gut - umgekehrt gilt dies dagegen nicht.

Wer diese Technik voll ausreizen will, liest seinen Text nicht nur einmal laut vor, sondern mehrmals, und nicht nur sich selber, sondern willigen Opfern. Auch einen Versuch wert: Den Text in irgendein elektronisches Ding sprechen, eine Weile liegen lassen und sich dann selber wieder vorspielen; ein selbergemachtes Hörbuch sozusagen.

Wichtig in allen Phasen der Überarbeitung: Alles, was einem als nicht ganz gelungen auffällt, immer
sofort notieren. Anstreichen. Markieren. Eventuelle Verbesserungsideen dazuschreiben. (Und die gelungenen Stellen markieren, wie gesagt. Bei mir kriegen die einen senkrechten Doppelstrich an den Rand des Manuskripts.)

Eine dritte Variante dieser Methode - dem Text eine andere Form zu geben - habe ich entdeckt, als ich meinen ersten Perry Rhodan-Gastroman schrieb. Als ich den Roman fertig hatte und mit dem Text nach ein paar Überarbeitungsrunden soweit zufrieden war, kam mir die Idee, eine Kopie der Datei so in Spalten usw. zu formatieren, daß die Ausdrucke aussahen wie das fertige Heft, zumindest näherungsweise. Dabei ging es mir in erster Linie darum, nachzuprüfen, ob das mit dem Umfang des Textes hinhauen würde. Ich hatte zwar eine Vorgabe, wieviel Manuskriptseiten OK waren, aber eben auch die Sorge, mich zu blamieren, indem ich einen viel zu kurzen Roman abgab. (Ich war nicht nur der erste Gastautor, ich hatte dieses Konzept
erfunden. Da ist man nicht ganz unbeschwert.) Also zählte ich in diversen PR-Heften Zeilen und Zeichen pro Zeile und fummelte dann so lange mit Absatzformaten, Spaltensatz und so weiter herum, bis ich etwas hatte, das beinahe wie ein PR-Heft aussah. Neulich erst bin ich wieder auf diese Datei gestoßen, und das brachte mich auf die Idee zu diesem Artikel. Denn obwohl es mir eigentlich nur um den Umfang ging, weiß ich noch, daß mir, als ich das Ding spaßeshalber ausdruckte, gleich eine ganze Menge sprachlicher Mängel auffielen, die mir in den bisherigen Ausdrucken im normalen Manuskriptformat schlichtweg entgangen waren. Es hatte der anderen Form des Textes bedurft - die ihn mir noch ein Stück »fremder« machte -, damit ich auf sie aufmerksam werden konnte.

Seither mache ich das regelmäßig: Wenn ein Text nach allen anderen Methoden überarbeitet ist, wird er so umformatiert, daß er aussieht wie ein fertiger Buchsatz. Mit den heutigen Schreibprogrammen ist das ja eine Kleinigkeit. Und bis jetzt hat es sich jedes Mal gelohnt.


Kniff Nummer 3: Kürzen.
Ja, ich weiß, das klingt ein bißchen frech, wenn einer wie ich so etwas sagt, aber es ist nun mal Tatsache: Texte werden fast immer besser, wenn man sie einfach nur drastisch kürzt.

Ich habe einmal von einem amerikanischen Autor gehört, dessen Name mir nicht mehr einfallen will (wahrscheinlich ein Fall von Verdrängung), der folgende Arbeitsmethode hatte: Er schrieb seine Texte zunächst ziemlich ausufernd, um anschließend - mit Hilfe seines Lektors (allein hätte er das vermutlich nicht übers Herz gebracht) - sage und schreibe 70% des Geschriebenen zu streichen. Wodurch er in den Ruf geriet, kompakt und präzise auf den Punkt zu schreiben.

Meine persönliche Höchstleistung in dieser Hinsicht habe ich erbracht, als mich 1995 das Angebot der ZEIT erreichte, man werde meine Kurzgeschichte »Der Mann aus der Zukunft« in der Silvesterausgabe drucken - aber nur, wenn ich sie auf die Hälfte kürzte! Was ich dann, auch wenn es entsetzlich war, getan habe. Um später erstaunt festzustellen, daß der Text dadurch gewonnen hatte.

Ganz so brutal muß man es aber meistens gar nicht angehen. Es genügt schon, wenn man sich die Maxime zu eigen macht, daß der Umfang eines Textes im Lauf einer Überarbeitung
abnehmen sollte.

Es spielt dabei auch eine Rolle,
wie man kürzt. Simples Streichen von unnötigen Absätzen, entbehrlichen Szenen oder redundanten Dialogabschnitten bringt einiges, aber noch besser ist es, wenn es gelingt, den Text durchgehend zu straffen - indem man, einfach gesagt, so oft wie möglich zwei Sätze zu einem einkocht. Beschreibungen lassen sich oft auf die wesentlichen, die besonderen Merkmale verdichten. Wenn eine Figur sich, während sie etwas sagt, räuspert und anschließend am Kopf kratzt, wirkt es oft stärker, sie nur eines davon tun zu lassen. Dialoge gewinnen oft, wenn man hier und da ein Füllwort streicht, einen Satz verknappt oder etwas, das aus dem Zusammenhang sowieso klar ist, ersatzlos streicht. Und so weiter.


»Klingt nach viel Arbeit«, hat mir mal jemand gesagt, nachdem ich erzählt hatte, wie das mit dem Schreiben vor sich geht. Es klang beinahe vorwurfsvoll. Aber was soll ich machen? Es ist ja sicher kein Zufall, daß man über
arbeiten sagt.

Doch auf den Aspekt der Arbeit zu achten ist auch der falsche Blickwinkel. Der richtige Blickwinkel ist, auf den Text zu achten. Ein Edelsteinschleifer arbeitet auch, aber er hat nur Augen für das Funkeln des Juwels, das er aus dem Rohmaterial hervorholt, und er wird erst aufhören, wenn er sich sicher ist, das bestmögliche Resultat erreicht zu haben.

Und genau so sollte es ein Schriftsteller mit seinem Text auch machen, wenn er ihn überarbeitet.

© 2006 Andreas Eschbach
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