Wie man einen Text überarbeitet



Die vielen Filme über Schriftsteller nähren alle ein ganz falsches Bild: dass man nämlich, sobald das Wort "ENDE" unter ein Manuskript getippt ist, alles eintütet und auf die Reise schickt. Nichts könnte falscher sein. "Die erste Fassung ist immer Mist", sagte Hemingway, und wir können getrost davon ausgehen, dass seine ersten Fassungen schon besser waren als vieles, was heutzutage munter in Buchform auf die Menschheit losgelassen wird. Nein, die erste Fassung ist noch nicht das Buch, sondern nur das Rohmaterial, aus dem man es macht. Und zwar, indem man den Text gründlich überarbeitet, ihn durchaus auch noch einmal schreibt, und wenn es sein muss, noch ein drittes oder viertes Mal. So lange, bis jedes Wort an seinem Platz ist.


Ist es wichtig, einen Text ruhen zu lassen?

Das ist ganz wichtig. Dadurch gewinnt man den Abstand zur eigenen Arbeit, der einem das Urteil erleichtert! Man muß den Prozeß der Entstehung sozusagen vergessen haben (am besten aus dem Grund, daß man in der Zwischenzeit viiiiele andere Texte geschrieben hat), wenn man das Ding wieder zur Hand nimmt. Man staunt oft, wie anders man ihn dann wahrnimmt - objektiver, mehr aus der Sicht eines Lesers. und einen Leser will man schließlich ansprechen, oder?


Und was passiert, wenn ich es zu lange ruhen lasse? Vielleicht habe ich dann den Faden total verloren und muß alles nochmal schreiben.

Ah, ich glaube, ich habe mich ein bißchen unklar ausgedrückt. Ruhen lassen sollte man nur Texte, die in einer ersten Fassung fertig sind. Ich habe nicht gemeint, daß man Texte ruhen lassen soll, mit denen man grade nicht weiterkommt.


Das "Ruhen-Lassen" hat den Zweck, Abstand zum Geschriebenen zu bekommen und es objektiver beurteilen zu können. 




Bei mir ruhte mal etwas so lange, bis ich keine Lust mehr hatte, es zu schreiben.

Das ging mir auch schon so. Ich weiß nicht, was ich von diesem Phänomen halten soll. Ist da etwas verlorengegangen? Oder ist es nicht schade drum, weil es ja wohl nicht tragfähig genug war? 



Wenn ich eine Geschichte zu lange ruhen lasse, fällt es mir schwer, den Einstieg wieder zu finden. Andererseits ist etwas Abstand immer ganz gut. Was machen Sie in so einem Fall?

Ja, mir geht das auch so. Wenn die Geschichte "heiß" ist, versuche ich, den Faden zu halten, dran zu bleiben, mich möglichst von nichts ablenken zu lassen. 


Aber natürlich kommt da immer was dazwischen... 


Um den Faden wieder aufzunehmen, habe ich folgende Methode, die für mich funktioniert:

  1. ich schaufele einen Abend frei, ganz viel Zeit am Stück, und nehme mir nichts anderes vor
  2. ich studiere die Grobskizze des Romans, vergegenwärtige mir die geplanten Inhalte der nächsten Kapitel, versuche mich zu erinnern, was mich überhaupt antreibt, dieses Buch zu schreiben
  3. ich lese die letzten paar Seiten, die ich geschrieben habe, und fange ein bißchen an zu korrigieren - das bringt mich meistens wieder in Fahrt
  4. ich skizziere die aktuelle Szene - Stichworte zu Dialogen, Kritzeleien zu Schauplätzen
  5. im Idealfall kann ich es jetzt kaum erwarten, weiterzuschreiben - und das tue ich dann!

Wichtig ist:

  • Nicht tausendmal alles bereits Geschriebene wiederzulesen. Irgendwann hat man sich so an den Text gewöhnt, daß man völlig blind wird für Verbesserungsmöglichkeiten. Ich lese den Roman im Ganzen erst durch, wenn ich fertig bin mit der Rohfassung.
  • Abstand ist gut, aber erst danach.



Können Sie sich leicht von frisch geschriebenen Sachen distanzieren?

Nein. Ich warte immer, bis die Druckfarbe trocken ist..;-) 


Ich meine, ich warte, bis ich das Gefühl habe, daß ich Kritik dazu haben will. Weil ich an einem Punkt bin, wo ich selber nichts mehr finde und Reaktion von außen brauche, um weitere Verbesserungsmöglichkeiten zu finden. 




Wenn Sie etwas geschrieben haben, lassen Sie das erst mal eine(n) Freund(in) lesen, um eine erste Reaktion zu bekommen?

Bisher meistens ja. Wenn ich das Gefühl habe, es ist soweit fertig, daß ich dazu stehen kann, dann suche ich mir ein Opfer. 


Bei den "Haarteppichknüpfern" habe ich es ins Extrem getrieben und jedes einzelne Kapitel von jemand anders lesen lassen, der die übrigen nicht kannte - weil ich eigentlich hauptsächlich wissen wollte, ob jedes Kapitel als in sich geschlossene Geschichte funktioniert (was ich so wollte). Dann kam aber interessante Kritik, die teilweise zu Überarbeitungen führte. 




Wenn ja, wie reagieren Sie auf Kritik? Auf Verbesserungsvorschläge?

Ich notiere mir alles und lasse es mir durch den Kopf gehen. 


Verbesserungsvorschläge habe ich eigentlich nicht so gern, weil ich das Verbessern als meinen Job betrachte, aber Kritik kann nützlich sein, wenn z.B. klar wird, daß an einer bestimmten Stelle ein Mißverständnis besteht, weil ich etwas unklar beschrieben habe... oder die Spannung flaut irgendwo bedenklich ab... oder irgendeine Wendung der Geschichte stößt auf Widerwillen... Und so weiter. Das überdenke ich dann alles und überlege, was ich daraus mache. (Wie schon öfter gesagt, ignoriere ich manche Dinge auch.) 




Merken Sie auch manchmal, daß Sie Lieblingsworte" haben, die Sie immer wieder verwenden?

Oh ja. Und oft zu spät. Mein Bruder meinte zu den "Haarteppichknüpfern" in seiner unnachahmlich trockenen Art: "Ganz gut. Bloß kommt unermeßlich oft das Wort 'unermeßlich' drin vor..." 




Ich glaube mein Problem liegt eher darin, dass ich manchmal nicht genau weiss, wo ich den Hebel ansetzen soll, um etwas von mir Geschriebenes so umzuarbeiten, dass es mir gefaellt.

Und? Warten Sie darauf, daß die Erleuchtung vom Himmel fällt? Und glauben Sie womöglich, ein "richtiger" Schriftsteller weiß das immer? Sorry. Manchmal weiß man es, manchmal nicht. Alle eine Million getippter Anschläge verschiebt sich das Zünglein an der Waage ein wenig weiter zu eigenen Gunsten, aber das ist es auch schon. 


Man muß viel lesen. Sich Vorbilder suchen. Stile kopieren. Texte analysieren: wie macht er/sie das, daß das so spannend/ergreifend/plastisch vorstellbar ist? Sätze ändern. Wegschmeißen. Neu schreiben. Und immer wieder schauen, wie es sich verändert. 


Wenn man sich nicht sicher ist, ob man es erkennt, wenn ein Text besser wird, gibt es einen einfachen (allerdings arbeitsaufwendigen) Weg: Jeweils eine alte und eine überarbeitete Version nebeneinanderlegen. Man erkennt Qualität am besten im Vergleich. 




Aber ein Autor ist doch Leser und Autor in einer Person und sollte deshalb doch viel konstruktiver kritisieren können als ein normaler Leser.

Theoretisch ja. In der Praxis wird sich immer eine Haltung einschleichen, die sozusagen den Vorwurf "Warum schreibst Du nicht wie ich?!" unterschwellig mitschickt. 


Was ein Autor besser als ein Leser geben kann, sind handwerkliche Tips. 




Aber können gute Leser nicht auch konstruktiv kritisieren, einem sagen, was fehlt oder was man anders machen könnte?

Ich ziehe es vor, wenn mir ein Leser sagt "da und da war es langweilig, habe ich was nicht verstanden" o. dgl., anstatt daß mir jemand sagt, was ich anders machen soll. Das Anders-machen ist mein Job. 




Was ich mich frage ist, wie gewinnt man das Vertrauen in seine Worte? Wann weiß man, es ist so gut, wie es sein soll? Als Perfektionist kann ich bis ans Ende meiner Tage an einem Buch feilen.

"Books get never finished, only abandoned" sagen die Amerikaner. Damit muß man leben. Es gibt nämlich diesen Punkt, an dem man sein Buch so gut gemacht hat, wie man es zu der Zeit und auf dem Entwicklungsstand eben kann, und dann darf man nicht weiter daran herumbosseln (damit macht man es nämlich wieder schlechter), sondern muß es "auf den Markt werfen". 


Man darf auch nicht den Anspruch an sich stellen, etwas Vollkommenes abzuliefern. (Die beste Persiflage auf diese Art des Perfektionismus ist die Figur des Schriftstellers in Camus' "Die Pest", der sein Leben lang am ersten Satz seines geplanten Meisterwerks feilt, ihn immer und immer wieder umformuliert, ohne je zum zweiten Satz zu gelangen.) Es reicht vollkommen, wenn ein Buch "verdammt gut" ist - dann ist es nämlich schon eine erfreuliche Abwechslung in einer Flut von Publikationen, die zwischen "schlecht" und "nicht schlecht" anzusiedeln sind. 


Wenn Sie also das Gefühl haben, daß Sie Ihren Perfektionismus im Zaum halten können, dann hier noch eine Überlegung und einen Tip. Die Überlegung: zu entscheiden, wann etwas gut genug ist, ist genau genommen DIE ursprünglichste, originäre Aufgabe des Autors. Einen Text auf die verschiedensten Weisen zu formulieren kann jeder, aber dann zu sagen: SO soll es sein und nicht anders - das ist die eigentliche schöpferische Tat, in der sich die Individualität eines Autors ausdrückt. Infolgedessen ringt man sein Leben lang mit dieser Frage, und ich glaube, in dem Moment, in dem man sich sicher fühlte, es "im Griff" zu haben, wäre es einem entglitten. 


Aber wie gesagt: man muß sich zugestehen, daß man sich sein Leben lang weiterentwickelt. 




Ich brauche es, am Ball zu bleiben und vor allem einfach draufloszuschreiben. Korrigieren kann man hinterher immer.

Genau. Das ist genau die richtige Haltung beim Schreiben. Probleme entstehen erst, wenn man aus dieser Haltung rausfällt. Wenn sich der Innere Lektor einschaltet und einem während des Schreibens dazwischenquatscht. 


Ich finde es immer besser, wenn die Umstände es einem erlauben, sich einem Text völlig zu widmen, in einer geradezu autistischen Haltung, sich völlig absorbieren zu lassen vom Vorgang des Entstehens. Einige Kapitel der "Haarteppichknüpfer" konnte ich so schreiben - über die Weihnachts- und Neujahrfeiertage, mit vollem Kühlschrank, abgeschieden von der Welt und ohne die Notwendigkeit, aus dem Haus zu gehen. Wunderbar. Irgendwann sah ich nicht mehr ein, wozu ich mich rasieren oder mir warme Mahlzeiten bereiten sollte... 


Man darf es wohl nicht zu weit treiben...:-) 




Warum sollten Sie "Die Haarteppichknüpfer" erweitern?

Die Begründung der Lektorin war: das Buch sollte eine gewisse Dicke haben. Es sollte in der Kategorie Fantasy angesiedelt sein, und da erwarte man einfach dickere Schmöker, meinte sie. "Denken Sie an 'Die Nebel von Avalon'." Es gebe zwar gewisse Tricks - dickeres Papier, größere Schrift usw. - aber eben nur in Grenzen. Außerdem wolle sie mehr davon lesen... (das hat sie vielleicht gesagt, um mir zu schmeicheln). 





Hatten Sie nicht das Gefühl, daß die Story dadurch an Authentizität verliert?

In diesem Fall war es leichter, weil "Die Haarteppichknüpfer" angelegt ist als eine Folge von eigenständigen Kurzgeschichten, die, nacheinander gelesen, dem Leser als Roman erscheinen. Es war also nur nötig, einige weitere Kurzgeschichten einzufügen, die zudem der Gesamtgeschichte im Endeffekt gutgetan haben. 


Ich hätte mich weigern können. Wenn ich das Gefühl gehabt hätte, ich mache es jetzt nur, weil es die Lektorin will, dann hätte ich es nicht getan. 




Das kann ich mir überhaupt nicht vorstellen: etwas zweimal zu schreiben.

Probieren Sie's doch mal. 


Versuchen Sie's einfach mal. 


Machen Sie doch einfach mal die Erfahrung. 


Geben Sie der Sache einfach mal eine Chance. 


:-) 





Wenn man eine Geschichte zu Ende erzählt hat, ist doch eigentlich alles gesagt.

Hmm. Ja. Andererseits kann man eine Geschichte auf viele Weisen erzählen, und vielleicht findet man eine, die einem noch besser gefällt, wenn man es versucht. 


Ich hätte auch bei einer anderen Form (="richtiger" Roman) erwogen, einer solchen Aufforderung nachzukommen. (Vielleicht hätte es sie dann nicht gegeben, andererseits.) Irgendwo ist es ja auch eine kreative Herausforderung, und wenn die Lektorin eines Verlages so etwas sagt, dann hat das mit gewisser Wahrscheinlichkeit etwas zu sagen - zum Beispiel, daß sie als Leserin das Gefühl hat, die Geschichte ist noch nicht ganz erzählt. 


Deutsche Autoren haben den Ruf, schrecklich unflexibel zu sein. Stichwort "Genialische Eingebung". Da braucht man nur ein bißchen aus der Art zu fallen, und schon ist man beliebt. 




Wie schreiben Sie eine zweite Fassung? Normalerweise läuft das ja so ab: Erste Fassung ausdrucken, ruhen lassen, mit einem Rotstift durchgehen, Änderungen in die Computerdatei einfügen. Oder lieber alles nochmal abtippen? Kommt das darauf an, wie gut oder schlecht die erste Fassung geworden ist?

Das kann man machen, wie man will. Manche schwören darauf, alles nochmal abzutippen, weil einem beim Abtippen noch eine Menge weiterer Verbesserungen einfallen. Ich kann das für mich nicht bestätigen, aber das ist, wie gesagt, individuell unterschiedlich, und ich würde Ihnen empfehlen, beides einmal auszuprobieren. Neulich habe ich von einem Autor gelesen, der die erste Fassung verbrennt und dann alles aus dem Gedächtnis neu schreibt! Schauerlich, aber wenn's hilft...? Peter Härtling schreibt die erste Fassung auf einer Reiseschreibmaschine, schreibt das dann mit der Hand ab, diktiert es schließlich und gibt es zuletzt in den Computer ein. Es kommt letzten Ende nicht darauf an, wie man es macht, sondern ob es nachher gut ist, so gut wie nur irgend möglich. Was immer einem dabei hilft, muß man verwenden. 



Allerdings schreibe ich nur hobbymäßig. Mir liegt nichts daran, damit Geld zu verdienen, deshalb habe ich auch keine Lust, mich so richtig hineinzuhängen.

Tja. Darf ich Ihnen da mal was Hartes sagen? Dann verdienen Sie es auch nicht, daß Ihr Buch veröffentlicht wird. 


Wenn Sie zu einem Verleger gehen, ihm Ihr Manuskript geben und bitten, es als Buch zu veröffentlichen, um was bitten Sie ihn da in Wirklichkeit? Darum, daß er einen ganzen Haufen von seinem eigenen Geld auf sein eigenes Risiko in Ihr Buch investiert. Ein Hardcover herauszubringen kostet, mit Herstellung, Werbung und Gemeinkosten, um die 30.000 €, ein Taschenbuch vielleicht 10.000 €, um mal ein paar runde Zahlen in den Raum zu stellen. Die Chancen, etwas von diesem Geld wiederzusehen, liegen bei 1 zu 5, die Chancen, Geld zu verdienen vielleicht bei 1 zu 20, wenn nicht noch schlechter. Sie bitten den Verleger also, einen Batzen Geld, für den er gut und gerne einen hübschen Mercedes bekäme, stattdessen für Ihr Buch auszugeben. Das heißt in meinen Augen, daß Sie erwarten, daß sich dieser Verleger ganz schön reinhängt, oder? 


Bloß Sie wollen sich nicht reinhängen? 


Ganz schön unverfroren. 


Wo finde ich jemanden, der bereit ist, sich intensiv mit meinem Buch auseinander zu setzen, ohne dabei seine neutrale Meinung zu verlieren?

An Volkshochschulen gibt es in aller Regel mindestens eine Schreibgruppe. Das sind Leute, die alle schreiben, sich einmal die Woche treffen (oft unter Anleitung eines mehr oder weniger hauptberuflichen Schriftstellers aus der näheren Gegend), die Sachen der anderen lesen und sich darüber austauschen. Eine solche Gruppe zumindest eine Zeitlang zu besuchen kann einen enorm weiterbringen. (Ich habe als 16jähriger meine unmittelbaren Freunde damit angesteckt, zu schreiben, und eine Zeitlang haben wir uns zu viert Wettläufe geliefert, wer die tolleren Sachen schreibt. Später war ich an der Uni mehrere Jahre in einer Schreibgruppe für Studenten.) 


Heutzutage gibt es zudem (höre ich jedenfalls immer wieder) Schreibgruppen im Internet. Da braucht man dann auch nicht zu verraten, wie alt man ist. Wäre auch einen Versuch wert. 



Geht das anderen Autoren auch so, dass sie ihr Manuskript irgendwann nimmer sehen oder lesen können? Nichts mehr davon/darüber hören wollen, ohne nicht mindestens 3 Monate völliger Ruhe vor dem "prinzipiell abgehakten" Ding? Ganz ehrlich, ich kann mein eigenes Buch schon nimmer leiden sozusagen. Dabei waren das nur 162 Seiten, der nächste ist schon jetzt dicker - wie wird es da? Mir stellt sich da die Frage: Soll ich es nun wirklich rausbringen lassen, wenn ich's schon selber nicht mehr lesen will, oder ist das nur sowas wie Übersättigung durch zuviel Wiederholung. Ich kann es bald auswendig.

Das ist Übersättigung. Mir geht es ganz genau so, und fragen Sie nicht nach der "Billion"! Zum Glück geht ein gutes Jahr ins Land, ehe das Buch gedruckt vor einem liegt, und dann blättert man darin und liest und denkt, hey, das ist gut formuliert, habe ICH das geschrieben? Und das da, naja, das holpert, Mist, wieso ist mir das nicht aufgefallen? Und man kann es dann doch wieder sehen. 




Wie urteilt ein Lektor beim Lesen über eventuelle Rechtschreib- bzw. Kommafehler?

Naja, im Übermaß macht es einen unprofessionellen Eindruck, vor allem "wilde" Kommasetzung. Aber kriegsentscheidend ist es nicht. Die Geschichte muß packen, darauf kommt es an. Und WENN sie packt, sind Rechtschreibfehler läßliche Sünden. 




Bekommen Sie Ihre Texte lektoriert oder haben Sie auch jemand, der drübersieht? Nutzen Sie Lektorenbüros oder ist das nicht üblich?

Wenn man mal einen Verlag gefunden hat, dann gibt es dort immer auch einen Lektor, mit dem zusammen man an dem Text feilt.



Nachdem ich im Urlaub in Ruhe über den ersten Teil meines Romanes nachgedacht habe, kam ich zu dem Schluss, dass eine ganze Menge geändert werden muss. Jetzt stellt sich die Frage, ob ich gleich das, was ich schon geschrieben habe, überarbeite, oder den Roman erst einmal zu Ende schreibe. Die Sofort-Überarbeitung scheint mir gefährlich, weil das ja praktisch einen Abbruch darstellt - allerdings kann ich mir nicht vorstellen, dass ich mit den Verbesserungsansätzen im Hinterkopf vernünftig fertig schreiben kann.

Das hängt natürlich sehr von der Art der Veränderungen ab. Wenn die bereits geschriebene Geschichte dadurch sehr anders verläuft, wenn andere Figuren eine Rolle spielen usw., dann macht es wenig Sinn, weiterzuschreiben, weil dann ja auch das, was man weiter schreibt, nicht so bleiben wird. 


Allerdings sollte man im Zweifelsfall immer dem Fertigschreiben den Vorzug geben. Sonst fängt man womöglich 27-mal neu an und kriegt nichts fertig, und das hilft einem nicht weiter. Ich würde Ihnen also raten, alle Ideen zur Verbesserung auf einer schönen großen Liste festzuhalten und dann munter weiterzuschreiben. Denn: Womöglich fallen Ihnen ja noch Verbesserungen zu den Verbesserungen ein? Die notieren Sie auch gleich, ohne sich im Schreiben aufhalten zu lassen. 




Irgendwie habe ich das feeling dafür verloren, was überhaupt noch gut und schlecht ist und ob ich in einer Überarbeituung die Sache wirklich verbessere und nicht verschlimmbessere. Ich wünsche mir einen Lektor, der mit mir die Sache durchgeht und mich korrigiert.Ich habe eine meiner Geschichten einem bekannten Autor geschickt, der mir auf dem X-Con versprochen hatte, sie sich anzusehen, aber ich habe von dem auch nichts mehr gehört. Wer aber, wenn nicht die Erfahrenen, soll einem Unerfahrenen weiter helfen?

Nun ja, das ist so eine Sache. Lektorat, das ist halt richtig Arbeit. Wenn Sie mal einen Blick auf die Website des Verbandes deutscher Lektoren und Lektorinnen werfen, die nehmen 8 Euro oder sowas pro Manuskriptseite, und das ist noch billig. 


Man kommt als Autor aber nicht nur aus finanziellen Gründen nicht darum herum, das Lektorieren selbst zu lernen. Sich selbst prüfen, das eigene Gefühl dafür, was man da geschrieben hat, zu entwickeln - das ist eine Kernkompetenz des Schreibers. Oder, wie Hemingway gesagt hat, als man ihn nach dem wichtigsten Hilfsmittel für Schriftsteller befragte: "Ein sicheres Gefühl für Mist." 


Man kann damit anfangen, daß man sich mit anderen Autoren (gleichen Erfahrungsstandes) zusammentut und sich gegenseitig lektoriert. Das hat den Vorteil, daß man bei den Sachen anderer nicht so "betriebsblind" ist wie bei den eigenen, den Splitter im Text des anderen leichter findet als den Balken im eigenen. 




Soll man seinen Roman nur 1 Mal überarbeiten, oder öfter? Und, kann bei zu oftem Überarbeite nicht mehr Schaden angerichtet werden, als man ihm Gutes tut?

Ja, man kann einen Roman zu Tode überarbeiten. Die erste Fassung ist immer Mist, die hundertste aber bestimmt wieder. Der optimale Punkt liegt dazwischen, und es ist ein wichtiger Teil der KUNST, aus der Schreiben ja auch besteht, zu spüren, wann dieser Punkt erreicht ist. 


Was das Erkennen dieses Punktes so schwierig macht, ist, daß man sich, sobald man ihn erreicht hat, eingestehen muß: Besser kriege ich es nicht mehr hin. Vielleicht mit dem nächsten Buch, aber dieses ist so gut, wie es werden konnte. 


Man kann nicht durch unendliches Überarbeiten aus einem mißratenen Buch ein Meisterwerk machen. Irgendwann sind die Verbesserungsmöglichkeiten ausgereizt. Wobei die Zahl der Überarbeitungen individuell sehr unterschiedlich ist; das hat auch etwas mit der Art der Vorbereitung zu tun. Ich mache sehr viel Vorarbeit, ehe ich anfange zu schreiben, und überarbeite relativ wenig - drei, vier Mal, höchstens. Eine mir gut bekannte Schriftstellerin dagegen schreibt aufs Geradewohl los, weitgehend ohne Konzept, und schreibt zehnmal und öfter um, manchmal, indem sie den kompletten Roman nochmal mehr oder weniger komplett abschreibt. 



Welche Tips gibt es noch, wie man ein Manuskript 'polieren' kann?

Die wichtigste Technik ist: Text eine geraume Zeit liegen lassen, dann sich selber laut vorlesen und alles anstreichen, was einen irgendwie stört, einem unangenehm (oder angenehm) auffällt. 


Und dann natürlich, nicht zu vergessen: ordentliche Formatierung. Ein Romanmanuskript hat immer, immer, immer pro Seite 30 Zeilen zu durchschnittlich je 60 Zeichen (was pro Seite die berühmten 1800 Normanschläge macht), wobei die Zeilen in anderthalbzeiligem Abstand stehen (was Korrekturen erleichtert). Als Schrifttype verwende man etwas, das einer Schreibmaschinentype so ähnlich wie möglich sieht, z.B. Courier New. 




Ich weiß nicht, wie und wo ich mit dem Korrigieren anfangen soll.

Also, was sollen Sie tun? Wie sieht der zweite Teil der Arbeit aus?

  1. Lassen Sie das Manuskript ein wenig abkühlen. Einige Wochen zumindest, in denen Sie es NICHT ANGUCKEN. Sich möglichst mit ganz anderen Dingen beschäftigen, es nach Kräften VERGESSEN. Das Ziel ist, daß Sie Ihrem eigenen Text wieder einigermaßen als Fremde gegenübertreten können. Das müssen Sie nämlich, um sehen zu können, was DA STEHT, anstatt immer noch zu sehen, was Sie mal GEMEINT HABEN.
  2. Sie vergessen das Manuskript natürlich nicht wirklich. Nach 5, 6 Wochen - oder 2 Monaten - oder einem halben Jahr - holen Sie es hervor, nehmen einen Stift zur Hand und sehen es noch einmal durch. Und was immer Ihnen auffällt als "möglicherweise etwas schwammig" oder "nicht ganz klar" oder "könnte man anders besser sagen" oder "hmm, was habe ich denn damit mal gemeint?", das streichen Sie an und korrigieren es, so gut Sie können.
  3. Dann lesen Sie es MEHRMALS vor, und zwar LAUT. Sich selber, oder, wenn Sie ein Opfer finden, jemandem. Auch das tun Sie mit einem Stift in der Hand. Beim lauten Lesen fallen alle Schwächen eines Textes früher oder später auf, und zwar viel, viel deutlicher als beim normalen, stillen Lesen.
  4. Lassen Sie es von Leuten lesen, die Sie NICHT so gut kennen. Schauen Sie sich an, was Sie an Feedback bekommen, vor allem an nicht ausgesprochenem. Wenn von 10 Lesern 7 ein Buch auf derselben Seite beiseitelegen, dann heißt das etwas, da mögen sie noch so sehr schwören, daß sie die feste Absicht hätten, es weiterzulesen, und daß sie es ganz toll fänden. Vielleicht sagt Ihnen jemand, daß sehr oft das Wort "sehr" darin vorkommt oder sonstige "Blubberwörter" wie "vielleicht", "manchmal", "irgendwie", "unbeschreiblich", "nämlich", "tatsächlich", "wirklich", "nun", "mal", "wahrscheinlich", "ganz" usw.
  5. Dann gibt es noch gute Bücher zum Schreiben.


Es mag merkwürdig klingen, aber mir scheint, ich habe Angst vor einer Kritik - gleich, ob gut oder schlecht.

Das klingt überhaupt nicht merkwürdig. Das ist sogar völlig normal. Jeder Schriftsteller hat diese Angst. Sie wird mit wachsender Erfahrung milder, weil man sich nicht mehr bei jeder Mißfallenskundgebung verdächtigt, "vielleicht doch kein Talent" zu haben, aber sie verschwindet nie ganz, und das ist auch vielleicht ganz gut so, weil man so einen Ansporn hat, das Beste aus sich herauszuholen. 


Geben Sie den Gedanken auf, diese Angst sollte NICHT da sein. Auch ein Bergsteiger besteigt den Berg, OBWOHL er Angst hat, einen falschen Schritt zu tun und abzustürzen. Ein Bergsteiger, der keine Angst hat, würde in den Bergen nicht lange überleben.



Ihre aufgeräumten Statements waren mir eine /wenn auch gefährlich schaukelnde/Hängebrücke über eine der unzähligen Schluchten, die den Pfad zum Erstlingswerk so kreuzen können.
Dabei scheint wohl jeder Debütant seinem ureigensten und intimsten Abgrund zu begegnen.
Nun - der meine nannte sich wohl Ungeduld.
Ungeduld gegen das eigene Werk und die Annahme, es mit der zweiten Fassung bewenden zu lassen, bevor sie ihren Weg zum Postschalter nimmt.

Nur um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Man begegnet beim Schreiben in der Tat allerhand Abgründen (nicht nur als Debütant, sondern immer), aber Ungeduld ist kein solcher. Ungeduld ist einfach eine - durchaus verständliche - Gefühlsreaktion, von der man sich jedoch nicht zu falschen, sprich nicht zielführenden Handlungen verleiten lassen darf. Wie zum Beispiel "so ist es gut genug, ab damit in die Post". "Gut genug" reicht in der Tat nicht. "So gut wie möglich" muß es mindestens sein, und manchmal reicht selbst das nicht.


Eine Freundin hat mein Manuskript gelesen, und meinte, es hätte ihr aus der Seele gesprochen.

Nichts gegen Ihre Freundin, aber sicher ist Sie Ihnen wohlgesonnen, kennt Sie gut, und wo immer Ihr Text nicht exakt das trifft, was Sie ausdrücken wollten, wird sie imstande und willens gewesen sein, sich das Richtige zu denken. Jemand aber, der Sie nicht kennt - der überwiegende Rest der Menschheit also, Ihre potentielle Leserschaft mit anderen Worten - ist dazu nicht imstande und auch nicht unbedingt willens. Darum geht es beim Überarbeiten: Herauszufinden, wo der Text nicht das ausdrückt, was der Leser verstehen soll. 


Endlich habe ich meinen Roman fertig. Trotzdem habe ich das Gefühl, dass er noch einiger Verbesserungen bedarf, ehe ich ihn Verlagen anbiete.

Dieses Gefühl trügt sicherlich nicht, denn "ENDE" unter einen Roman geschrieben zu haben heißt erst mal nur, daß man die erste Fassung fertig hat. Die Rohfassung. Und ich kenne keinen Schriftsteller, mich selbst eingeschlossen, der jemals eine Rohfassung veröffentlicht hätte. Hemingway geht so weit zu sagen: "Jede erste Fassung ist Scheiße." Es ist nun einmal so, daß Schreiben sogar in der HAUPTSACHE Überarbeitung ist. 



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