Wie man einen Verlag sucht

»ICH HABE MEIN ROMAN FERTIG WOHIN MUSS ICH IHN SCHICKEN?«

Solche Mails erreichen mich. Was soll man dazu sagen? Es ist dasselbe wie in allen Bereichen des Lebens. Sobald man die erste Tennisstunde hinter sich gebracht hat, ist es ja auch üblich, schon mal die Anmeldeunterlagen für Wimbledon anzufordern. Die bestandene Führerscheinprüfung gilt als der ideale Zeitpunkt, um mit den Formel-I-Teams Gespräche aufzunehmen. Ein Tor geschossen in der Sportstunde? Gleich bei der Bundesliga anfragen. Und wenn man das erste Mal einen Hammer in die Hand nimmt und trotzdem einen Nagel in die Wand kriegt, kann man ruhig ins Auge fassen, sein Eigenheim selber zu errichten.

Oder?

Nein, in allen Bereichen des Lebens ist es selbstverständlich, daß man als Anfänger anfängt und dann eine gehörige Weile üben muß, ehe man besser wird. Ebenso selbstverständlich ist es, daß es qualitative Unterschiede gibt und daß es eine Frage des Talents ist, wie weit man es letztendlich bringen wird. In allen Bereichen des Lebens - mit Ausnahme der Schriftstellerei. Schreiben, das kann man, oder man kann es nicht. Punkt.

Das - man kann es nicht oft genug sagen - ist ein Irrtum. Eine hartnäckige Legende. Natürlich gibt es so etwas wie Begabung, aber das ist nur der Anfang. Um vom Begabtsein zum Können zu gelangen, muß man lernen, und man muß üben. Beides. Wer nur übt, ohne dabei etwas dazuzulernen, bleibt immer auf dem gleichen Stand. Und wer nur lernt, ohne zu üben, kann irgendwann bloß klug daherreden. Das gilt für alle menschlichen Betätigungen, das Schreiben eingeschlossen.

Es war mir einmal vergönnt, einen Blick in den Stapel unverlangt eingesandter Manuskripte werfen zu dürfen, der sich neben dem Schreibtisch eines Verlagslektors etwa anderthalb Meter hoch türmte. Die Eingänge von zwei Wochen, wurde mir versichert. Es heißt ja, ein Lektor könne schon auf den ersten fünf Seiten sehen, ob ein Manuskript etwas tauge, und mich interessierte, wie die ersten fünf Seiten anderer Autoren aussahen.

Ich will es mir ersparen, dieses Erlebnis in verdienter Ausführlichkeit zu schildern, nur soviel: Was ich sah, hat mich damals sehr beruhigt. Die ersten fünf Seiten? Meistens reichten schon die ersten fünf Sätze, um jedes Interesse zu verlieren, weiterzublättern. Eine erschütternde Anzahl von Leuten ist offenbar nicht imstande zu erkennen, daß zwischen dem, was sie zu Papier bringen, und dem, was in gedruckten Büchern zu finden ist, ein himmelweiter Unterschied besteht.

Mittlerweile bin ich überzeugt, daß das systemimmanent ist. Ernest Hemingway hat einmal auf die Frage, was das wichtigste Handwerkszeug eines guten Schriftstellers sei, gesagt: »Ein innerer Apparat, der ihn unfehlbar vor jedem Mist warnt.« Bemerkenswert, wenn man recht darüber nachdenkt, nicht wahr? Er sagt nicht »ein großer Wortschatz« oder »Ausdauer« oder dergleichen, er nennt eine sozusagen ausmerzende Fähigkeit: Imstande sein zu sehen, wo man Mist geschrieben hat.

Je älter ich werde, desto mehr erkenne ich, wie recht er damit hat. Das ist tatsächlich das wichtigste Instrument, und es ist genau die Fähigkeit, die man als Anfänger nicht hat. Ein Anfänger mag voller Ausdauer Seiten füllen und dicke Romane fertigstellen, er mag einen großen Wortschatz haben und sich verwickelte Plots ausdenken - was ihn als Anfänger kennzeichnet, ist das Unvermögen, unterscheiden zu können zwischen Stellen, die ihm gut gelungen sind, und solchen, die völlig daneben sind. Die Unebenheit eines Textes ist das Wasserzeichen des Anfängers.

Mit anderen Worten: Würden diejenigen, die grausliche Manuskripte an Verlage schicken, erkennen, wie grauslich diese sind -
dann könnten sie auch besser schreiben! Eins bedingt das andere.

Das wiederum bedeutet, daß man nicht auf wesentliche Änderungen hoffen darf, was die Anzahl und die durchschnittliche Qualität von eingesandten Manuskripten anbelangt. Diese Flut der Manuskripte jedoch überfordert die Verlagslektoren heillos. (Zwar geht der Trend zur Zusammenarbeit mit literarische Agenturen, aber das verlagert das Problem natürlich nur.) Je nach Größe eines Verlages bekommt ein Lektor zehn, zwanzig, manchmal fünfzig Manuskripte pro Woche auf den Tisch. Ein Lektor wohlgemerkt, der sich auch dann nicht langweilen würde, wenn kein einziges unverlangtes Manuskript einträfe. Eine Woche Urlaub, und der Pegel hat sich verdoppelt. Manchmal geht schlicht und einfach der Platz im Zimmer aus, und dann hilft nur eines: Alles zurückschicken, alles ablehnen, nur damit das viele Papier aus dem Haus ist. Manchmal hat man auch einfach nur Kopfschmerzen oder schlechte Laune oder zehn so schauerliche Ergüsse hintereinander angelesen, daß man alles für schlecht zu halten beginnt, was aus Buchstaben besteht.

Unvermeidlich, daß man in diesem nie endenden Abwehrkampf auch einmal Perlen übersieht. Die Verlagsbranche wimmelt von Anekdoten, welches später sagenhaft erfolgreiche Buch von welchen Verlagen abgelehnt wurde, und wäre es anatomisch möglich, sich in den Bauch zu beißen, trüge da jeder Lektor nach einigen Jahren etliche ernsthafte Narben.

Was hat das alles nun mit der Suche eines unveröffentlichten Autors nach einem Verlag zu tun?

Wenn man sein kostbares Romanmanuskript hoffnungsfroh an einen Verlag schickt und es mit einem Ablehnungsschreiben zurückbekommt, gibt es dafür im Licht dessen, was ich eben erklärt habe, zwei mögliche Erklärungen: Zum einen könnte es sein, daß man ein grauslich schlechtes Buch geschrieben hat und einfach noch nicht imstande ist, diesen Umstand zu erkennen. Zum anderen könnte es sein, daß man zwar ein wunderbares Buch geschrieben, aber das Pech gehabt hat, daß es zwischen Dutzenden anderer Manuskripte unentdeckt geblieben ist. Auch alle möglichen Zwischenstufen und Kombinationen sind denkbar: Das Buch mag einigermaßen gelungen sein, war dem Lektor, der es in Händen hatte, aber um eine Idee nicht gut genug. Und so weiter. Das Ganze hat gewisse Ähnlichkeiten mit einer Verlosung -
bis auf den Umstand, daß manche Teilnehmer mehr und bessere Lose im Spiel haben als andere!

Überlegen wir: Es müssen zwei Dinge zusammenkommen - ein Manuskript, das gut genug ist für eine Veröffentlichung, und ein Lektor, der in dem Augenblick, in dem er es vor sich hat, imstande ist, das zu erkennen. Die Chancen für das Zustandekommen eines solchen Ereignisses kann man als Autor jedoch auf folgenden zwei Wegen erhöhen: Erstens, indem man konstant daran arbeitet, seine Schreibe zu verbessern. Zweitens, indem man seine Werke so lange anbietet, wie man von ihrer Qualität überzeugt ist.

Es ist wichtig,
beide Wege zu gehen, denn wie gesagt kann man sich nie absolut sicher sein, wie die Ablehnungen zustandekommen. Es könnte immer auch sein, daß es der größte Mist ist, den man da für viel Geld durch die Weltgeschichte schickt. (Ich kenne Leute, die irgendwann beschließen, Schriftsteller zu werden, innerhalb von zwei Monaten ihren ersten Roman herunterklopfen und den danach drei Jahre lang anbieten wie sauer Bier - ohne eine einzige weitere Zeile zu schreiben! Das ist Handeln nach dem Motto »Schriftsteller sein ist toll, wenn nur das Schreiben nicht wäre«, und wenn man es ernst meint, sollte man sicherstellen, daß man nicht zu dieser Kategorie zählt.)

Umgekehrt bringt es nichts, immer wieder neue, bessere Romane zu schreiben und nach der ersten Ablehnung in der Schublade verschwinden zu lassen. Verlage sind unterschiedlich, Lektoren haben die verschiedensten Geschmäcker, und was in einem Haus abgelehnt wird, mag in einem anderen willkommen sein. Genauso wie man als Schriftsteller im Lauf der Zeit immer mehr über das Schreiben lernen kann und muß, kann und muß man auch immer mehr über die Verlagswelt und ihre Spielregeln lernen.

Alles tun, was man kann, damit der Roman so gut wie möglich ist, und alles tun, was man kann, damit alle in Frage kommenden Verlage oder Agenten ihn zu Gesicht bekommen - das ist in einem Satz die zu verfolgende Strategie auf der Suche nach dem ersten Verlag.

Falls es ein Trost ist: Nach der ersten Veröffentlichung gelten andere Spielregeln, findet man sich in einer anderen Liga wieder.


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