Wie man die Handlung entwickelt



Wie gehen Sie vor, wenn Sie einen Roman planen?

Vom allgemeinen zum Detail. Zuerst ist eine Idee da, die im Lauf der Zeit gewissermaßen Fleisch ansetzt. Irgendwann beginne ich, mir grob auszumalen, wie die Handlung laufen soll, welche Figuren vorkommen, was der Witz des Ganzen sein soll, das, was es die Mühe wert macht, den Roman zu schreiben beziehungsweise zu lesen. Wenn ich dann den Beschluß gefaßt habe, den Roman zu schreiben, erstelle ich detailliertere Pläne der Kapitel, was darin passiert, beschreibe die Figuren und Schauplätze und so weiter. Irgendwann fange ich an zu schreiben - und dann wird alles doch ganz anders... 




Gehören Sie zu den Menschen, die mit ersten Entwürfen, "Outlines" oder anderen Plänen arbeiten?

Nie ohne!


Eine grobe Outline zu haben, nimmt den Druck weg, das Ding als Ganzes im Kopf haben zu müssen, und ich kann mich ganz auf die anstehende Szene oder das anstehende Szenenstück konzentrieren. Wenn ich einfach so schreibe, wird es weniger dicht, meistens sogar dünn - und es kommt so eine Hektik in die Schreibe, aus Angst, die guten Ideen könnten einem entfleuchen, ehe man sie eingefangen hat. Eine berechtigte Angst.


Freilich gibt es diesen Grat zwischen Outline und zu-viel-planen, was dann wiederum den Dampf zu schreiben rausnimmt. Das ist wohl auch wieder eine eigene Kunst.

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Ich habe eine Grundidee, und kann daraus keine Geschichte machen. Im Grunde glaube ich den Rest der Fähigkeiten zu haben die ein Schriftsteller haben muss (Sprachliches Talent, Ergeiz und Durchhaltevermögen), nur das beschriebene Problem macht mir schwer zu schaffen, weil es wirklich mein Herzenswunsch ist Bücher zu schreiben. (Ein 14 Jähriger)

Du hast eine Grundidee. Der Sohn des Herrschers von Lemuria. Und was nun? Die Idee muß gewissermaßen "Junge kriegen". Dazu mußt Du Dich damit beschäftigen. Du mußt anfangen - zu träumen... 


Zum Beispiel kannst Du Dir vorstellen, Du wärst dieser Sohn. Mal Dir aus, was für ein Leben Du führst als Sohn des Herrschers von Lemuria. Sicher eines im Luxus, aber auch ein eingeschränktes - schließlich sollst Du (vielleicht) der nächste Herrscher werden. Du hast Lehrer und Erzieher - aber vielleicht auch ein paar Freunde, die Deinem Stand eigentlich nicht angemessen sind? Bau Deine eigenen Freunde und Klassenkameraden in das Bild ein. Stell Dir die Bauten vor, die prachtvollen Statuen, die Schiffe im Hafen und ihre Segel, die wie Gold glänzen in der untergehenden Sonne... Stell Dir z.B. vor, wie Du durch geheime Gänge gehst, um den Palast zu verlassen und Deine Freunde zu treffen, wie Du mit ihnen unerkannt durch die Straßen der Stadt ziehst. 


Und dann? Vielleicht entdeckt ihr etwas, von dem der Herrscher nichts weiß? Oder jemand entdeckt Dich - versucht, Dich zu entführen? Dir eine Falle zu stellen? Oder verpetzt Dich beim Herrscher, der Deine Aufsicht verschärft - worauf Du den Wunsch entwickelst, zu fliehen... 


Und schon fängt eine Geschichte an. Ein paar Personen, eine bestimmte besondere Umgebung - daraus kann alles mögliche entstehen. Das liegt bei Dir. Bei Deiner Phantasie. Man kann es nicht machen, aber man kann den Boden dafür bereiten, daß es kommt. 


Und wenn eine Geschichte Gestalt annimmt - ein faszinierender Vorgang, fast wie Zauberei - und sie dich begeistert, dann fang an, sie aufzuschreiben. 




Im aktuellen Spiegel steht ein Interview mit Donna Leon, in dem sie (mit anderen Worten freilich) sagt, daß sie die Geschichten wachsen läßt und sich vorher keinerlei Gedanken macht, was denn so passiert und wie es ausgeht.

Jo, jo. Das glaubt sie vielleicht, aber das ist nicht so. Das heißt für mich nur, daß sie nicht mitkriegt, wie es in ihrem Unterbewußtsein schafft. Alle Geschichten sind Koproduktionen von Unterbewußtsein und Wachbewußtsein, und sie müssen es sein, sonst taugen sie nichts. Reine Unterbewußtseinsgeschichten sind unzugänglich, und reine Wachbewußtseinsgeschichten sind stinkfad. Der springende Punkt ist, daß beide Kooperationspartner einander mit Material und Anregungen füttern und aufeinander hören müssen - Kooperation eben. 


Ich habe bei derlei Äußerungen anerkannter Autoren immer das Gefühl, daß sie sich irgendwo auch stilisieren wollen. Nach dem Motto, "entweder man hat's, oder man hat's nicht, und ich hab's eben". Der Autor als Begnadeter, mit dem direkten Grad zu Gott - oder zur Quelle Aller Geschichten, je nachdem. 


Wobei ja auch etwas daran ist - daß man ein gewisses Talent braucht. Aber das braucht man auch zum Goldschmied oder zum Hirnchirurgen, bloß daß die kein solches Aufhebens davon machen. Wenn man mal dreißig Romane geschrieben hat: klar kann man dann den nächsten schreiben, ohne sich vorher groß Gedanken zu machen, und es wird trotzdem was - weil einem bestimmte Dinge eben schon so in Fleisch und Blut übergegangen sind, daß man gar nicht mehr bemerkt, wie man sie tut. Aber für Beginners kann diese Idee verheerend sein, weil die denken: "Wenn ich's 'hab', dann gelingt mir mein erster Roman auf Anhieb, ohne daß ich groß planen usw. muß." Und dann gelingt er nicht, weil erste Romane NIE gelingen (auch der von Donna Leon nicht), doch der Beginner schlußfolgert: "Ach, ich 'habs' eben einfach nicht." 




Das, was der Fachmann die "Form des Romans" nennt, entsteht das bei Ihnen aus der Arbeit heraus? Als Autorin, die sich eigentlich jetzt an das zweite Buch machen müsste, interessiert mich das, weil es genau das ist, was mich im Moment davon abhält, erneut anzufangen: die Angst, Buch zwei wird ein Abklatsch von Buch eins, weil ich keine neue Form finden könnte.

Würde ich so sagen. Man denkt sich in Figuren und Handlung hinein, spielt mit Varianten, und irgendwann schält sich die diesem Roman gemäße Form (oder was man eben dafür hält) heraus. - Wobei man dann während des Schreibens nochmal Überraschungen erleben kann. 


Buch 2 wird ein Abklatsch von Buch 1, wenn Sie dieselbe Geschichte nochmal erzählen. (Nur mit anderen Figuren, anderen Schauplätzen usw.) 


Abgesehen davon müssen Sie es versuchen. Man löst keine schriftstellerischen Probleme durch Abwarten und Nichtstun. 




Wenn ich an eine Geschichte herangehe, dann plane ich und plane ich, und wenn dann alles steht, verwerfe ich es wieder, weil mir inzwischen schon wieder etwas (nur scheinbar?) Besseres eingefallen ist. Auf diese Weise komme ich gar nicht erst zum Schreiben.

Ja, man kann natürlich auch zu viel planen. Dann geht der "Dampf" verloren, man verfängt sich sozusagen im eigenen Kopf und es ist ein bißchen so, als habe man alle Bücher über den Kopfsprung gelesen, die es gibt, und darüber ist der Sommer vergangen. Oder man traut sich nicht mehr aufs Sprungbrett, weil man völlig konfus geworden ist. 



Wenn Sie anfängen, das erste Kapitel zu schreiben, haben Sie schon ein mögliches Ende im Kopf, oder zeichnet sich das erst im Lauf der Zeit ab?

Ich denke, man sollte, wenn man zu schreiben beginnt, zumindest zwei Ideen haben: eine Idee für den Anfang, und eine Idee für den Schluß. Alles dazwischen kann sich finden, aber der Anfang sollte einen Leser packen, und der Schluß - nun, das ist der Magnet, auf den sich alles zuentwickelt. Wenn man keine Idee für einen bombastischen Schluß hat, dann dümpelt die Schreibe so dahin, und mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit bleibt der Roman irgendwo stecken. Aus Treibstoffmangel gewissermaßen. 


Was sich bei mir im Lauf der Zeit abzeichnet, ist der genaue Weg vom Anfang zum Schluß. Den habe ich - absichtlich - nicht schon mit langweilender Präzision ausgearbeitet. Eben damit das Schreiben auch aufregend bleibt. 


Bei der SOLARSTATION war zuerst vage der Wunsch da, einen Thriller zu schreiben, der auf einer Raumstation spielt. Dann war die Idee für den Schluß da - der Ringkampf in Raumanzügen, und wie der Bösewicht durch das Sonnensegel schwebt... Und irgendwann war die Idee für den Anfang da, die Sexszene in Schwerelosigkeit, als eine skurrile Vowegnahme des Ringkampfes. Und dann entwickelte sich alles dazwischen.

Die Anfangs- und die Ende-Idee spannen den Bogen, sozusagen. 


Noch 'ne Frage: Was machen Sie, wenn Sie Ihr schreiberischer Elan irgendwo hinführt, wo Sie eigentlich gar nicht hin wollten? Was zunächst gar nicht in Ihr bisheriges Konzept paßt?

Oh, ich liebe das! Wenn Figuren plötzlich Eigeninitiative entwickeln, sich die Geschichte in völlig andere Richtungen dreht, ganz Unerwartetes geschieht... Das ist eine erregende Sache, denn das heißt, daß die Figuren in diesem Moment so lebendig sind, wie das Romanfiguren nur sein können. Und ich respektiere diese Texte immer, nehme sie, wie sie geworden sind. Klar kann das für den Plot Probleme machen, aber das muß man eben anders hinbiegen. Oder das Buch geht eben anders aus als geplant, was soll's? Aber das sind Inspirationen, wenn man jemals welche hat, und man wäre schön blöd, die wegzuwerfen. 


In den "Haarteppichknüpfern" ging mir das in etlichen Geschichten so. In "Der verlorene Haarteppich" am stärksten. Diese Geschichte war eigentlich völlig anders geplant, aber der arme Borlon drehte während des Schreibens immer weiter ab, und das war am Ende so stark, daß ich es so ließ, und heute ist es eine meiner liebsten Geschichten in dem Buch. Oder am Schluß, als sich Lamita in den alten Archivar verliebt - das hatte ich nicht geplant. Eigentlich schwebte mir vor, daß es umgekehrt sein sollte, daß er sie beeindrucken will mit seinem Wissen über die Haarteppiche. Aber als es dann anders kam, ließ ich es so, weil es mir schien, daß in dieser Wendung der Geschichte eine ganz eigene Logik steckt, die ich auch noch nicht ganz verstehe. 




Als ich seinerzeit meine gestammelten Werke zu Papier gebracht habe, ging mir's ähnlich - es war beinahe, als ob die Geschichte schon fertig irgendwo auf Abruf lag und langsam rauskam. Wie ist das bei Ihnen?

Am stärksten ging (und geht) mir das so mit den Geschichten um die "Haarteppichknüpfer". Wahrscheinlich, weil bei dieser Art Geschichten relativ wenig bewußte Recherche und dergleichen notwendig ist und man sie tatsächlich weitgehend so nehmen kann, wie sie kommen. 


Beim "Jesus Video" habe ich viele Ideen bewußt umgestalten müssen, weil sie einfach nicht zur Faktenlage paßten. Aber der Witz ist, daß man dabei das Unterbewußtsein nicht außen vorlassen muß; das meldet sich dann schon ab und zu mit Ideen einer etwas niedrigeren Preisklasse, die etwas mehr um Details der Geschichte kreisen, wie eine bestimmte Szene ein bißchen aufgepeppt werden kann, von einem ungewöhnlichen Standpunkt aus erzählt werden kann oder dergleichen. Und so arbeitet man sich Stück um Stück voran und wird ständig selbst überrascht, in welche Richtung es geht. Ich könnte auch mit Fug und Recht sagen, daß ich vor dem Schreiben nicht wußte, wie es werden wird, und es wäre nicht mal gelogen. Aber eben nur die halbe Wahrheit. 




Wie planen Sie einen Roman, so dass es wenigstens einigermaßen klappt? Sehen Sie, egal wie viele Ideen ich habe, es will mir einfach nicht gelingen, eine richtig gute Handlung zu planen. Und wenn ich es dann mit Ach und Krach doch mal schaffe, ein paar Kapitel zu skizzieren, stelle ich beim Schreiben folgendes fest: Es kommt alles anders als ich es geplant habe.

:-)

Woher wollen Sie wissen, ob es mir nicht genauso geht? 


Daß sich z.B. etwas, was man ursprünglich geplant hat, nicht mehr realisieren läßt, weil es durch das bisher Geschriebene unwahrscheinlich oder unglaubwürdig würde, ist ziemlich normal beim Schreiben. Man hat einen Plan, fängt an zu schreiben, und bald muß man entweder den Plan ändern oder das, was man bisher geschrieben hat. 


Werfen Sie doch mal einen Blick in das "Making Of" von "Exponentialdrift". Das war ursprünglich ein Fortsetzungsroman, das heißt, das bisher Geschriebene konnte nicht mehr geändert werden: Also mußte ich immer das, was noch kam, entsprechend anpassen. (Da habe ich angefangen zu schreiben mit nur einer vagen Vorstellung im Kopf und einem groben Plan für die ersten 4, 5 Folgen. Das funktioniert auch. Vielleicht ist das ja Ihr Ding: ohne Plan zu schreiben?) 


Generell ist das Planen von Romanen natürlich Erfahrungssache. Ich mache das jetzt seit über 30 Jahren; ich wäre ja hirntot, wenn ich in der Zeit nicht eine gewisse Routine entwickelt hätte. Und die kann man nun mal so wenig per "Lange Erklärung" übertragen wie die Fähigkeit, Billiardkugeln ins Loch zu treffen. 


Ein paar Tips, damit Sie nicht ganz ratlos dasitzen:

  1. Der Schlüssel zu einem funktionierenden Roman sind funktionierende Charaktere. Wenn die in sich stimmig sind, dann entwickelt sich aus ihrem Zusammentreffen in der Regel auch eine stimmige Handlung.
  2. Sie können ja mal "reverse engineering" machen und aus einem Roman, der Ihnen gut gefällt, den ursprünglichen Plan abzuleiten versuchen: Also so eine Art Handlungsgerüst daraus destillieren. Daran sollten Sie sehr gut sehen können, wo Dreh- und Angelpunkte sind. (Daß im dritten Kapitel die Zeiger einer Uhr rot sind, kann in einem Krimi z.B. von entscheidender Bedeutung sein; in einem Liebesroman dagegen ist es meist ohne Belang.)


Was mich ungeheuerlich wunderte: Sie schreiben das Gerüst für einen Roman in Spiralkladden? Uff! Uffuffuff!!! Von Anfang an? Welche Quälerei! Habe ich früher auch mal gemacht, aber dann sollten die Notizen von Seite 56 lieber hinter Seite 12 stehen und Seite 14 passte besser auf Seite 19 usw. Wären da Karteikarten nicht besser?

Also, um genau zu sein: Mein Favorit ist der "Student-Block A5" von der Firma Brunnen, und zwar der mit 160 Blatt, vorgelocht, microperforiert und mit Ausreißhilfe. Jedes neue Thema beginnt auf einem neuen Blatt, so daß ich, wenn sich zu einem Thema - Roman Nr. X - einiges angesammelt hat, leicht die entsprechenden Blätter heraustrennen und damit in einen kleinen A5-Ordner umziehen kann. Das funktioniert hervorragend und ist keinesfalls eine Quälerei. 


Karteikarten habe ich im Lauf meines Lebens auch schon häufiger ausprobiert, aber irgendwie sind die doch nicht mein Fall. Was wahrscheinlich nicht an dem Medium liegt, sondern an mir - meine Frau beispielsweise ist eingeschriebener Karteikartenfan. 


Letztlich ist das auch egal. Hauptsache, man findet etwas, das für einen selber funktioniert. 




Ich habe meine Geschichte und deren Wendepunkte sowie deren Zweitstränge recht gut ausgearbeitet, nur fällt mir einfach kein passendes Ende für die Geschichte ein. Man muß dazu sagen, dass ich 6 Kapitel, ist ungefähr ein Drittel der Story, mit insgesamt 120 Seiten geschrieben habe, aber mir einfach kein passender Schluß einfällt.

Dazu kann ich schwer etwas sagen, ohne etwas über die Geschichte zu wissen. Und wie können Sie Wendepunkte ausarbeiten, ohne zu wissen, WOHIN die Geschichte sich schließlich wendet?? 


Nun, generell muß ein Schluß alle oder möglichst viele Handlungsfäden befriedigend zusammenführen. Befriedigend heißt, daß die Figuren sozusagen Bewährungsproben hinter sich bringen. Oder, wie Friedrich Dürrenmatt zu sagen pflegte: Eine Geschichte ist erst dann zu Ende erzählt, wenn sie ihre schlimmstmögliche Wendung genommen hat. 


Vielleicht hilft Ihnen das weiter? 




Darf ein Protagonist denn nicht auch mal, wie ein ganz normaler Mensch, unlogisch handeln? Muß alles, was er tut, immer einen tieferen Sinn haben?

Ja. Eine Romanfigur - ein "homo fictus", wie James N. Frey das nennt - ist eine Vergröberung eines echten Menschen, deswegen gelten da etwas andere Gesetze. Wenn eine Romanfigur unlogisch handelt, dann muß diese Unlogik glasklar logisch aus ihrer Anlage, ihrem fiktiven Charakter folgen. Oder sie muß rasende Kopfschmerzen haben. Unter Drogen stehen. Aber "einfach so" nicht das tun, wozu sie imstande wäre, das geht nicht - und zwar, WEIL ES BEIM LESER NICHT FUNKTIONIERT. (Alles, was gegen "handwerkliche Regeln" verstößt, aber trotzdem beim Leser funktioniert, dürfen Sie tun.) Die Nachbarin, die normalerweise beim kleinsten Krach die Polizei ruft, hört einen Schuß, kümmert sich dann aber nicht weiter darum? Da spürt man die ordnende Hand des Autors, da geht man dann nicht mehr mit als Leser. 




Man hat mir geraten, vor Beginn des Schreibens ein ungefähres Konzept zu machen. Leider ist dies nicht so einfach. Ich schreibe einfach so drauflos. Was mir gerade einfällt wird aufgeschrieben, und nach einiger Zeit seh ich es dann wieder durch und verbessere, was ich für verbesserungswürdig halte.

Nun, Konzepte sind nicht jedermanns Sache. Wenn Sie sich damit nicht anfreunden können, dann sind Sie vielleicht jemand, der besser ohne Konzept schreibt. Das müssen Sie herausfinden. Jeder Autor muß für sich die Methoden durchprobieren und das behalten, was ihm hilft - keine zwei Autoren sind da gleich. Ich bin recht gut befreundet mit Pierre Bordage, einem der erfolgreichsten SF-Autoren Frankreichs: Er schreibt ohne jedes Konzept - er läßt sich ganz von seinen Figuren leiten und ist selber überrascht, welche Wege die so einschlagen. Aber er hat zumindest eine Idee, worauf der Roman hinausläuft - selbst wenn sich im Lauf der Zeit dann manchmal ein ganz anderes Ende herausbildet; auch das kommt vor. 




Was machen Sie, wenn sich ein Buch in der Planungsphase nicht so entwickelt, wie Sie wollen? Beispiel: Ich wollte eine schöne Liebesgeschichte (mit Happy End!) schreiben, aber meine Helden machen nicht mehr mit, tummeln sich derzeit sonstwo und sind so stur, dass sie gar nicht zueinander finden und die Geschichte traurig enden wird!

Ich finde sowas, wenn es beim Schreiben passiert, großartig, bin dann immer ganz stolz auf meine so eigenständigen Figuren und folge ihnen bei dem, was sie stattdessen tun. Weil ich finde, daß genau DAS ein Beweis ist, daß die Romanfiguren "lebendig" geworden sind. 


In der Planungsphase allerdings ist es was anderes. Und da hat man ja auch noch alle Möglichkeiten. In der Regel muß man, um solche Dinge zu beheben wie die, die Sie beschreiben, am CHARAKTER der Figur arbeiten und die Eigenschaften, die zu den unerwünschten Entscheidungen führen, ändern. "Was wäre, wenn X mehr so-und-so wäre?" Einfach mit Alternativen zu spielen ist, glaube ich, das Wichtigste in der Planungsphase. 




Ich habe das Problem, dass ich in der Planungsphase ja nicht schreibe, sondern eben plane. Und das macht mich immer total kribbelig, es fehlt mir, ich fühle mich kreativ nicht ausgelastet, bin unausstehlich und unruhig. Andere Sachen kann ich nicht schreiben, da ich mich immer nur auf ein Projekt konzentrieren kann und will. Aber der "Schreibmangel" hat zur Folge, dass ich schlampig und hudelig plane, nicht warte, bis die Geschichte so richtig "ausgegoren" ist, was sich im ersten Schreibentwurf natürlich brutal rächt. Wie machen Sie das denn in Planungszeiten?

Ich kenne das Phänomen auch, ich habe auch bisweilen zu früh begonnen, und es hat sich auch gerächt... doch inzwischen ist es besser geworden, warum auch immer. Aber warum und wieso? Keine Ahnung. Vielleicht die Routine. 


Was ich mir auf jeden Fall angewöhnt habe - und ich glaube, das bewährt sich - ist, in den Phasen, in denen der Roman, an dem ich aktuell schreibe (auch nur immer einer zur gleichen Zeit), sich dem Ende nähert, oder überarbeitet wird usw. schon erste Arbeiten an den Konzepten für weitere Romane zu beginnen. Ideen sammeln, Details zu Charakteren, alternative Handlungsverläufe usw. Das lege ich dann immer rasch wieder beiseite und konzentriere mich auf die eigentliche Arbeit, aber irgendwie arbeitet es im Unterbewußtsein weiter, und später, wenn es ernst wird mit der Planung, habe ich schon einen großen, angenehm duftenden Ideenkompost, so daß es dann schnell weiter voran geht. 




Ich schaffe es immer sehr gute Anfänge zu schreiben, die auch andere für sehr gut halten, aber ich schaffe es dann nie weiterzumachen. Ich habe nun schon viele angefangene Geschichten rumliegen, aber es geht nicht weiter. Wie kommt das und was lässt sich dagegen tun?

Nun, ich denke, es kommt daher, dass Ihnen die Idee für den Schluß fehlt. Um eine Geschichte zu schreiben, braucht man MINIMUM ZWEI IDEEN: eine für den Anfang - die haben Sie - und eine für den Schluß. Wie die Geschichte aufhört. Was der Knalleffekt ist, der Dreh, die Auflösung, der Schlußhöhepunkt - solche Dinge. Diese zweite Idee ist für das Schreiben der Geschichte das, was der Nordpol für einen Kompaß ist: Man kann sich daran orientieren. Denn wenn erst einmal ein Anfang gesetzt ist, kann es ja buchstäblich in alle möglichen Richtungen weitergehen - das sind einfach zu viele Möglichkeiten. Doch wenn Sie im Hinterkopf haben, worauf alles zusteuern soll, dann entwickelt die Geschichte von selber Fahrt und Richtung. 


Ein Beispiel: Sie haben die Idee, daß alles damit beginnen soll, daß jemand beim Umgraben seines Gartens eine antike Statue aus purem Gold findet. Das beschreiben Sie. Gut, aber wie geht es nun weiter? Kommt der Betreffende in Konflikt mit dem Gesetz, das von verlangt, antike Fundstücke abzugeben? Oder hat die Statue Zauberkräfte? Widerlegt sie eine alte Theorie über bestimmte geschichtliche Zusammenhänge? Will ihm jemand die goldene Statue stehlen? Zuviele Möglichkeiten. Erst wenn Sie ein bestimmtes Bild haben, wie die Geschichte ausgeht, kommt Richtung in die Sache. Angenommen, Sie haben als Ende vor Augen, daß sich herausstellt, daß die Inkas vor Jahrtausenden Europa bereist haben und unser Held ein verschüttetes Inka-Heiligtum in Niederbayern ausgräbt, dann wissen Sie, was zu tun ist: Er muß mit jemandem in Kontakt kommen, der sagt, "diese Statue können Sie unmöglich in Ihrem Garten ausgegraben haben, es ist Inka-Kunst" usw.; dann gibt es ein Hin und Her, weil noch Schatzräuber und Denkmalschützer auf den Plan treten usw. 



Es ist gerade die Phase nach dem Geheimnis und vor der Bedrohung, die mich beschäftigt: das erste Unglück, der erste Schritt des Protagonisten in den mythischen Wald - die Gefahrenzone - das unbekannte, gefährliche Terrain, ab dem die Geschichte volle Fahrt aufnimmt. Man kann natürlich zuvor, am Anfang einer Geschichte, eine Gefahr andeuten, deren Bedrohung immer klarer wird, sich stetig steigert, bis zum ersten Höhepunkt der Story die Hauptfigur "umgehauen wird" und nun aufstehen und kämpfen muss. Mich interessierte nur, wie Sie versuchen, diese Phase bis zum "ersten" großen Unglück spannend aufzubereiten. Wenn man sie knapp hält und zügig zum Konflikt übergeht, läuft man Gefahr, oberflächliche Figuren schlecht zu motivierern und ihre Leiden erscheinen melodramatisch.

Kann es sein, daß Sie eher auf der Suche nach Formeln und Regeln sind? Ich habe so das Gefühl. Denn das, was Sie da fragen, sind alles Dinge, für die es keine generelle Antwort gibt. Es kommt auf die jeweilige Geschichte und ihre Besonderheiten an. Man muß herausfinden, was ihr entspricht. 


Das ist wie bei Kindern. Jedes Kind ist anders. Natürlich gibt es da Regeln und Formeln, wie man angeblich Kinder erzieht, JEDE MENGE sogar, aber letzten Endes geht es immer darum, diesem ganz bestimmten Kind zu seiner Entfaltung zu verhelfen und dazu, seinen Weg im Leben finden zu können. Und wo das eine eine strenge Hand braucht, damit es sich nicht den Kopf einrennt, braucht das andere Ermutigung, mal etwas zu wagen. Das eine ist vernünftigen Argumenten zugänglich, das andere braucht den Kampf mit den Eltern. Und so weiter. 


Bei Schriftstellern, kommt mir da, ist es womöglich genauso. Den einen muß man bremsen, muß ihm sagen, halt, nicht so wild, da kommt ja keiner mit, bedenke dies & jenes - dem anderen muß man sagen, ach, vergiß die Regeln, konzentrier' Dich auf Deine Geschichte, schreib' drauflos & laß Dich überraschen, was draus wird! Und Sie scheinen eher in die zweite Kategorie zu gehören. Haben Sie Angst, etwas falsch zu machen? Das ist okay, die Angst hat jeder, und nicht einmal der Nobelpreis wird Sie Ihnen nehmen können. Konzentrieren Sie sich stattdessen darauf, was Sie richtig machen. Und wenn Sie etwas schreiben, das einem anderen gefällt, dann haben Sie etwas richtig gemacht. Nicht alles, sicherlich, aber einiges. 


Also - die wirkliche Frage beginnt nicht mit "Wie macht MAN...?", sondern sinngemäß so: "Ich habe X, der mit Y in Z ist und vor dem Problem U steht, als plötzlich ein V auftaucht usw. usf. - und wie halte ich nun den Leser in Atem, bis alle in W gelandet sind und Q losgehen kann?" Und dann vertiefen Sie sich in Ihre Figuren, versuchen, Ihre Figuren zu SEIN, wie sie zu denken, zu atmen, zu fühlen. Und dann versetzen Sie sich in die Welt Ihrer Figuren - sei das nun das fremde Land Blabbelonien oder der Alltag hinter den Kulissen eines Internetcafés -, bis Sie diese Welt riechen, schmecken, mit jeder Pore spüren, bis Sie davon träumen. Und dann fällt Ihnen auch ein, wie es weitergehen muß. Ohne alle Formeln, Regeln, Gesetze und all den Kram. 




Wenn ich eine Idee habe und anfange darüber zu schreiben, so bin ich vielleicht nach fünfzig Seiten schon fertig und ich komme wieder nicht über eine Kurzgeschichte hinaus. Ich setze mir betreffend der Länge nie irgendwelche Ziele, trotzdem komme ich nie über 60 Seiten hinaus. Oder baue ich die Idee einfach nicht richtig auf? Lasse ich die Idee zuwenig lange "reifen"? Wie machen Sie das?

Das ist eine gute Frage, und so recht weiß ich gar keine Antwort darauf. Ich mache das eher instinktiv, weil ich eigentlich von Anfang an auf das Schreiben von Romanen aus war. Allerdings habe ich natürlich auch Kurzgeschichten geschrieben und kenne also den Unterschied, und von daher kann ich nur soviel sagen: Es gibt Ideen, die einen Roman tragen, und Ideen - "kleinere" sozusagen - die nur Stoff für einen Kurzgeschichte hergeben. Letztere streben in der Regel relativ direkt auf eine Pointe oder einen Höhepunkt zu, während die Geschichte eines Romans verwickelter ist, allerlei Wendungen nimmt usw. Letztlich unterscheiden sich beide Formen aber nur durch ihre Spannweite. Wo die Kurzgeschichte sozusagen eine Welle ist, ist ein Roman die Flut. 


Was ich an Ihrer Stelle tun würde, um dem Rätsel auf die Spur zu kommen, ist folgendes: Nehmen Sie einen Roman zur Hand, den Sie gut kennen und der Ihnen gefällt, und analysieren Sie ihn einfach. Gehen Sie Kapitel für Kapitel, Szene für Szene durch und destillieren Sie zu jedem Kapitel oder jeder Szene eine möglichst knappe Inhaltsangabe: Worum geht es in der Szene? Was passiert? Wer handelt? Was für ein Geheimnis taucht auf, oder welche Bedrohung? In welche Richtung geht es? Wendet sich die Richtung? Gibt es ein Umdenken, eine Überraschung? Spitzt sich etwas zu? So verschaffen Sie sich eine Übersicht über das, was in der Geschichte passiert, und gewinnen vielleicht ein Gefühl dafür, worauf es bei einem Roman ankommt. 




An Ideen mangelt es nicht, sie kommen einfach so aus heiterem Himmel über mich, allerdings habe ich Probleme damit, aus diesem Chaos von plötzlichen Geistesblitzen eine Geschichte herauszulösen. Es ist so, als würde ich ein Puzzle zusammensetzen bei dem die Hälfte der Teile fehlt. Liegt es daran, daß 15 zu jung ist, um ernsthaft mit dem Schreiben anzufangen?

Nein, im Gegenteil, das ist sogar ein gutes Alter, um damit anzufangen. (Ich selber habe auch in dem Alter angefangen; kein Wunder also, daß ich dieser Ansicht bin... ;-D) 


Was Du tun kannst, ist folgendes: Analysiere einmal die Bücher anderer Autoren! Bestimmt hast Du ein paar Bücher, die Du schon mehrmals gelesen hast oder besonders gelungen findest: Nimm sie Dir vor und schreibe für jedes Kapitel STICHWORTARTIG (also nicht eine "Inhaltsangabe" wie in der Schule, sondern eher eine Art Liste) auf, was darin passiert. Nach und nach, wenn Du das mit ein paar Büchern machst (nimm solche, wie Du sie selbst gern schreiben würdest) wirst Du einen Blick dafür entwickeln, daß eine Geschichte aus großen und kleinen "Handlungsbögen" besteht. 


Nun, und was Du beim Selberschreiben tun mußt, ist, das Ganze umzudrehen: Erst erstellst Du eine Übersicht, was in welchem Kapitel passieren soll, und dann erst schreibst Du die Kapitel. So arbeite ich bis heute, wobei ich mir die naheliegenden Kapitel (also wenn ich anfange, die ersten 4 oder 5) ausführlicher überlege als die, die noch weiter weg sind. Denn beim Schreiben ändert sich vieles von selber wieder, man muß bestimmte Ereignisse in andere Kapitel verschieben oder überhaupt weglassen, anderes einfügen usw. 


Wichtig ist: Man schreibt eben NICHT einfach drauflos, sondern macht zuerst einen Plan, und dann schreibt man. Das hat nichts damit zu tun, sich festzulegen (man kann den Plan jederzeit ändern), sondern es erleichtert einem, sich jeweils ganz auf die Szene zu konzentrieren, die man gerade schreibt. Man muß keine Sorgen haben, daß man Ideen vergessen könnte, denn man hat sie ja in seinem Plan notiert. Auch wenn einem weitere Ideen kommen, notierst Du die in Deinen Plan. 


Noch was: Wenn Du anfangs ein totales Durcheinander an Ideen haben solltest und überhaupt keine Ahnung, in welche Reihenfolge das alles gehört, schreibe erst mal jede einzelne Idee auf eine Karteikarte oder einen kleinen Papierzettel, und dann setz Dich an einen großen Tisch und probiere verschiedene Reihenfolgen und Anordnungen aus. Das machen auch sehr viele Autoren so. (Ich mache es manchmal, aber nicht so oft.) 





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